„Universalismus ist alles, was Spaß macht“

■ Ein Gespenst geht um die Welt - das Gespenst einer neuen globalen Meta-Philosophie, die in Polen ihre Wurzeln hat

Von Ute Scheub

„Universalismus ist was Lustiges“ - da war sich die junge Dame im Foyer des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung ganz sicher. „Universalismus ist alles, was Spaß macht“, pflichtete ihr mit fröhlichem Nicken einer der Zuhörer bei. Was ist es, das die 75 Philosophen und Wissenschaftler aus 16 Ländern beim „Zweiten Symposium der Universalisten“ so locker macht? Vom „Universalismus“ scheint Befreiung auszugehen, und befreites Denken ist heiteres Denken in profundem Sinne.

Dabei sind die Grundüberzeugungen der Universalisten gleichzeitig überaus ernst und ernsthaft. „Das einzige philosophische Problem ist der Selbstmord“, zitiert der Berliner Organisator Dieter Claessens erläuternd den Existentialisten Camus. „Er meinte damit den einzelnen, aber in der heutigen Zeit muß man das auf die gesamte Menschheit übertragen. Die moralische Grundüberzeugung des Universalismus besteht deshalb darin, den kollektiven Selbstmord der Menschheit verhindern zu helfen.“ Die gegenseitige Infragestellung aller nationalen oder ethnozentristischen Philosophien und Ideologien im weltweiten Dialog ist deshalb nicht nur ausdrücklich erwünscht, sondern offensichtlich auch ein lustvoller Prozeß.

Entstanden ist dieser Universalismus 1981 in Warschau. Zur Zeit des Kriegsrechts wurde er zu einer geistigen Strömung innerhalb der Polnischen Akademie der Wissenschaften, die das vulgärmarxistische Denken aufzubrechen und einen Dialog zwischen Marxismus und Katholizismus zu initiieren suchte. Janucs Kuczynski, Leiter des größten polnischen Friedensforschungsprojekts, war ihr Wegbereiter. Heute ist er Mit-Direktor der „International Society for Universalism“ und Herausgeber der universalistisch orientierten Vierteljahreshefte „Dialectics and Humanism“. Der Titel weist schon darauf hin, daß die Universalisten bei aller Neuheit des globalen Ansatzes die alte Methode der Dialektik, das Wertvollste bei Hegel und Marx, erhalten wissen wollen.

Im November 1989, just als die Mauer purzelte, fanden sie sich zu ihrem ersten internationalen Symposium in Warschau zusammen. Dort nannte Kuczynski unter anderem folgende besondere Merkmale des Universalismus: Er sei eine „historische Bewegung kollektiven Bewußtseins“, deren Subjekt die Menschheit selbst sei, denn die Menschheit wechsle gerade vom Stadium einer einfachen Ansammlung von Nationen in einen Zustand einer „Community“ über. Er sei aber auch eine „Meta-Philosophie“, die gerade die Beschränkungen der bisherigen Philosophien diskutieren will, weil diese nicht fähig gewesen seien, zu begreifen, daß das Zusammenwachsen der Menschheit „voller Klassen-, nationaler, zivilisatorischer und kontinentaler Widersprüche“ geschehe. Nur der Universalismus und seine „multilevelness of identification“ sei dabei in der Lage, die „oft tragischen Widersprüche zwischen verschiedenen Identifikationen“ zu lösen. Man könne also gleichzeitig Universalist und Christ oder Buddhist oder Phänomenologe sein.

Die Nationalitätenliste der Berliner Symposiumsteilnehmer ist dafür ein lebender Beweis. Die USA sind vertreten, Kanada, die Sowjetunion, Polen, Bulgarien, Rumänien, beide Deutschlands, Zimbabwe, Indien, Indonesien..., um dieses Mal hauptsächlich zwei Dinge zu diskutieren. Zum einen die gegen universalistisches Denken und Handeln aufgebauten Hindernisse, die sich derzeit vor allem in einer „gewaltigen Gegenbewegung des Regionalismus und Nationalismus“ manifestieren. Und zum anderen die „Hierarchie der Werte“, die beispielsweise die Frage aufwirft, ob die gängigen Menschenrechtsideen vielleicht auch nur auf westlichen und ethnozentrischen Vorstellungen beruhen.

Hierzu äußerte sich unter anderem Gerhard Grohs von der Universität Mainz. Der Koran betone nicht das Individuum, sondern die Familie, die Gruppe, die Nation. Im Islam gäbe es keine Tradition universal gültiger Menschenrechte und könne es auch keine geben, weil den Ungläubigen solche Rechte abgesprochen werden. Ebensowenig sei in der japanischen Tradition ein Konzept des Individualismus vorhanden. Und auch das Afrika südlich der Sahara habe weder in seiner vorkolonialen noch in seiner kolonialen Phase die individuellen Menschenrechte gekannt. Auf der einen Seite habe nicht die Entfaltung des Inidividuums, sondern Solidarität und Konsens im Zentrum vieler Stämme gestanden; auf der anderen Seite habe der koloniale Gouverneur keinerlei Gewaltenteilung und nur wenige Menschenrechte anerkannt. Erst die Erfahrung mehrerer grausamer Diktaturen in ihren Ländern habe die Organisation Afrikanischer Staaten 1986 dazu gebracht, eine „Afrikanische Menschenrechtscharta“ zu verabschieden.

Daß alte afrikanische Tradition eines Denkens in sozialen Zusammenhängen zu Erkenntnissen kommen kann, die in Europa nicht gern gehört werden, weil sie die Idee der individuellen Freiheit in Frage stellen, bewies M.B. Ramose aus Zimbabwe. Er referierte über „Leben, Universalismus und holistisches Denken“. Mit den neuesten Erkenntnissen beispielsweise aus der Chaostheorie besehen sei das menschliche Leben im Universum absolut nichts besonderes und habe auch keine besonderen Rechte. Und „was immer auf der Ebene des Denkens oder Handelns geschieht, es geschieht nicht, weil wir frei sind, sondern weil der Faktor des Mangels (the need factor), den Atomen in der Mikrowelt vergleichbar, den Kurs des Handelns in den gegebenen Umständen determiniert.“