„Zellensteuerung“: Kampfbegriff der Ratlosen

■ Die Behauptung, die Gefangenen der „Rote Armee Fraktion“ seien direkt an der Vorbereitung von RAF-Anschlägen beteiligt, hat nach jedem Attentat Konjunktur / Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft glauben dran / Pohl macht sich lustig

Von Gerd Rosenkranz

Ob Hans-Ludwig Zachert, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), oder Alexander von Stahl, der neue Generalbundesanwalt, sie für sehr wahrscheinlich halten, ob Edmund Stoiber, bayerischer Innenminister und CSU -Rechtsausleger, sie beschwört, oder ob Christian Lochte, der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes (VS), sie abstreitet: Eine Schlagzeile ist die „Zellensteuerung“ allemal wert. Jene Vorstellung, daß die Gefangenen der „Rote Armee Fraktion“ Anschläge ihrer aktiven Genossen noch aus den Hochsicherheitstrakten zu steuern vermögen, bestätigt so trefflich das Bild einer bei den Gefangenen vermuteten bösen und gefährlichen Hyperintelligenz, das insbesondere die Springer-Presse mit Vorliebe zeichnet. Was ist dran an dieser Theorie, die es so lange gibt, wie RAF-Gefangene in den Knästen sitzen?

Rechtzeitige

Durchsuchung

Zachert ist noch neu im Amt. Daran mag es liegen, daß er im Gespräch mit 'Bild am Sonntag‘ gleich seine Motivlage mit preisgibt. „Wir sind ziemlich sicher, daß Attentate nach wie vor aus Gefängniszellen gesteuert werden“, meint der BKA -Chef. Und weiter: „Es wird aber zunehmend schwieriger, rechtzeitig Durchsuchungsbeschlüsse für die Zellen zu bekommen.“ Rechtzeitig? Glaubt der oberste Fahnder der Republik wirklich, Opfer, Tatort und Tatdatum für den nächsten Anschlag unterm Kopfkissen der Gefangenen auffinden zu können? Wohl kaum. Weil den Fahndern seit Jahren „eine einigermaßen konkrete Vorstellung, wer die Täter sind“ (Zachert im selben Interview), abgeht, halten sie sich an die Gefangenen, von denen immerhin bekannt ist, daß sie die Attentate der vergangenen Jahre (nicht ohne Ausnahme) gutheißen. Gleichzeitig wird dem Publikum bedeutet, die Erfolglosigkeit des Staatsschutzes im Kampf gegen die RAF sei das Ergebnis der Machenschaften uneinsichtiger Richter und Datenschützer (Zachert: „Wir können heute nicht mehr auf die von der Polizei gesammelten Daten gegen Personen aus dem RAF-Umfeld zurückgreifen“), die den Fahndern immer engere Fesseln anlegen.

Edmund Stoiber macht damit Wahlkampf und verlangt nach jedem Anschlag Verschärfungen der Haftbedingungen; zuletzt nach dem Neusel-Anschlag eine Neuformulierung der Intentionen des „Kontaktsperregesetzes“, das 1977 während der Schleyer-Entführung die totale Abschottung der Gefangenen von jedem Außenkontakt gewährleisten sollte. Der Beifall seiner (Wahl-)Klientel ist dem CSU-Politiker sicher.

Auch der VS-Mann Christian Lochte verfolgt natürlich seine spezifischen Interessen, wenn er die „Zellensteuerung“ im taz-Gespräch rundweg bestreitet: „Eine Steuerung von Anschlägen aus den Zellen heraus gibt es schon lange nicht mehr.“ Den Gefangenen gehe es lediglich um politischen Meinungsaustausch und darum, einer intellektuell ausgetrockneten RAF draußen strategische Orientierungshilfen auf den Weg zu geben. Lochte will den verantwortlichen Politikern und seinen Widersachern im Sicherheitsapparat die Angst vor der Zusammenlegung der Gefangenen nehmen, weil er die isolierenden Haftbedingungen als entscheidenden Stabilisierungsfaktor der RAF in den vergangenen zwanzig Jahren ausgemacht hat. Und er will vermutete Unstimmigkeiten zwischen RAF-Gefangenen und aktiver RAF verschärfen.

Der Hamburger Verfassungsschützer hat einen geheimen Bericht des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) über die Zellenfunde von Ende März 1990 auf seiner Seite, den natürlich auch seine Kollegen Zachert und von Stahl in Wiesbaden und Karlsruhe kennen müßten. In dem 70seitigen Bericht kommt man zwar zu dem Schluß, es habe vor, während und nach dem letzten Hungerstreik konspirative Kommunikationsversuche sowohl zwischen den Gefangenen in verschiedenen Knästen als auch zur sogenannten „Kommandoebene“ draußen gegeben. Aber auch die RAF-Exegeten des BfV sehen keine Anzeichen für die Steuerung der Anschläge aus den Zellen heraus. Der starke Arm der Gefangenen reiche nicht so weit, daß sie die anderen Ebenen der RAF steuern, heißt es aus Köln.

Medienshow

der Verfassungsschützer

Hier fügen sich die Aussagen des Bundesamtes und die der Gefangenen gut zusammen. In seiner letzten Wortmeldung aus der vergangenen Woche dementiert der Gefangenensprecher Helmut Pohl indirekt eine Attentatssteuerung und macht sich über von Stahls Erkenntnisse im Springer-Blatt 'Die Welt‘ lustig. Pohl bestreitet nicht die Existenz dessen, was die Staatsschützer mediengerecht „illegales Informationssystem“ nennen. „Selbstverständlich“, heißt es da, „haben wir immer so gut es geht auf jede mögliche Weise Verbindung miteinander. Wir wären auch merkwürdige politische Gefangene, wäre es anders.“ Die „Show“ allerdings, die da bei Bedarf aus dem Giftschrank des Staatsschutzes geholt werde, sei „nur zur Unterhaltung des Publikums da“. Immerhin reicht diese Show zur Zeit einmal mehr zu einem Ermittlungsverfahren gegen 25 Gefangene, die in das „illegale“ System eingebunden gewesen sein sollen.

„Die Schnüffler

raushalten“

Man nehme sich allerdings heraus, schreibt Pohl weiter, „bei manchem, in den persönlichen Beziehungen oder Gedanken im Überlegungsstadium oder auch mal bei Problemen, die Schnüffler rauszuhalten“. Alles andere jedoch sei nicht nur nicht illegal, sondern bewußt öffentlich. „Jede/r kann lesen, was wir schreiben und sehen, was wir tun.“

In der Tat, was in letzter Zeit erneut als Nachweis einer klandestinen Vorbereitung von Attentaten in den Knästen vermarktet wurde, war lange vorher allgemein zugänglich nachzulesen in der taz oder den von Verwandten der Inhaftierten herausgegebenen Angehörigen-Infos.

Beispiel: Ein Brief Helmut Pohls von Ende Oktober 1989, der in der Öffentlichkeit nach dem tödlichen Anschlag auf Alfred Herrhausen vorschnell zur „Zellensteuerung“ uminterpretiert wurde. Zuvor hatte das Schreiben, in dem die Gefangenen die Initiative nach dem Hungerstreik an die aktive RAF draußen zurückgaben, anstandslos die Postüberwachung des Knasts in Schwalmstadt passiert.

Wenige Tage nach dem Attentat stellte sich heraus, daß die Vorbereitungen begonnen worden waren, lange bevor Pohl den Brief abschickte. Ähnliche Behauptungen der „Zellensteuerung“ wurden auch früher schon mit schöner Regelmäßigkeit nach Mordanschlägen aufgestellt - etwa nach dem Tod des MTU-Chefs Ernst Zimmermann, mit dem die RAF 1985 den vorletzten Hungerstreik der Gefangenen abblies - und später von offizieller Seite wieder zurückgenommen.

Ein weiterer Anschlag in den kommenden Wochen scheint nach der Ankündigung einer „langen Kampfphase“ im Neusel -Bekennerschreiben und der nach wie vor verweigerten Zusammenlegung wahrscheinlich. So sicher wie das Amen in der Kirche wird dann auch Pohls aktueller Brief von interessierter Seite als Nachweis der Steuerung gelesen und als Totschlagargument gegen eine Lockerung der Haftbedingungen genutzt werden. Allerdings steht das Gegenteil drin. Es sei nicht ihr Ziel, schreibt der Gefangenensprecher, in der eingeforderten Diskussion mit der Linken den bewaffneten Kampf zu propagieren. Und: „Das tun wir nie, das wäre ein Widerspruch zum Kurs der Gefangenen.“ Das sagt auch Christian Lochte, der die nicht für die „Schnüffler“ vom Verfassungsschutz bestimmten Kassiber genau studiert hat.