Zur Keule greifen, um loszulassen

■ Europäisches Jonglierfestival in Oldenburg / Schwerkraft-Stars, Fliehkraft-Profis und Dreiballamateure

Unten ist ein Rad, dann kommen vier Meter Stange, und ganz oben schwankt ein Mensch, der mehrere Bälle, Zigarrenkisten, vielleicht auch brennende Fackeln oder phosphoreszierende Keulen immerfort gegen die Schwerkraft beschleunigt. Das ist die Kunst des Jonglierens in, zugegeben, Höchstform. Amateure sind schon zufrieden, wenn sie drei Bälle vier Atemzüge lang in der Luft halten können.

Jonglage ist in, eine Kunst, die boomt. Das merken vor allem die TeilnehmerInnen am Europäischen Jonglierfestival, das 1978 in Brighton in England mit 11 AktivistInnen begann und letztes Jahr in Maastricht (Niederlande) 1.500 anlockte. Setzt sich der Trend fort, wird es ab heute in der Ostfriesenmetropole Oldenburg bunt zugehen, und im Luftraum über der City wird manches unbekannte Flugobjekt zu sichten sein.

Oldenburg in einer Reihe mit Festivalorten wie London, Brüssel, Kopenhagen? Der oldenburgische „Verein zur Förderung des Freizeitsports“ stellte zunächst

eine Finanzierung auf die Beine (zwei ABM von der Stadt), akquirierte Raüme (Uni und Weser-Ems-Halle) und erwies sich im informellen Vorgeplänkel bei der European Juggling Association als geschickt.

Vier Tage lang fliegen in Oldenburg die Keulen. Turbulente Innenstadtaktionen sind geplant, der Freitag dient der Weiterbildung in Workshops, es gibt mitternächtliche „Feuerspektakel“. Highlights sind die Open Stage am Freitagabend, wenn bekannte und unbekannte KönnerInnen ihre skurrilsten Kunststücke präsentieren, und der Starabend Public Show am Samstag in der Weser-Ems-Halle mit den Russen Sergej Ignatow und Wiktor Koscmann / Paul Koszel (Duo) sowie den „Flying Dutchman“ auf dem Rieseneinrad. Lokale Jungstars sind Arno und Timo (12 und 13), die als „Blues Brothers“ die Oldenburger Zirkusschule „Seifenblase“ vertreten.

Topstar Ignatow gelang es als erstem, 11 Reifen zugleich der Schwerkraft zu entziehen. Hieran macht Mitorganisator Thomas

Eden auch den zu erwartenden Trend beim Jonglieren fest: Ob elf oder dreizehn Gegenstände fliegen, kann das Publikum schon nicht mehr unterscheiden. Darum kommt bei den Profis Show dazu: Choreografie, Einsatz klassischer Musik, optischer Effekte, Tanztheater und Artistik. Oder die Verkehrung des Jonglierens an sich, das Dozen: Die Bälle werden nach unten, auf den Boden,

geworfen, oder gar - ist auch schon dagewesen - auf ein Xylofon, so daß die Melodie „Stairway to Heaven“ erklingt.

Den Jonglier-Boom erklärt sich Thomas Eden mit Spätfolgen der Aussteigermentalität der 70er (frustrierter Lehrer greift zur Keule?) und der wachsenden Popularität der „Straßenjonglage“. Daneben vermutet er Leistungssportkritik

-„nicht so muskel

zerrend und geringe Verletzungsgefahr beim Jonglieren“. Das allerdings gilt vornehmlich für die Amateure.

Die Teilnahmegebühr, mit der neben dem Gala-Abend sämtliche Workshops bezahlt sind, beträgt 50 DM. Unterbringung auf Zeltplätzen und im „Verfügungsgebäude“ der Uni. Das Schwimmbad steht bereit und (Herrje!) eine Sauna. Bu