„Wir rechnen mit dem Sieg Christi“

■ Neues aus dem Christentum - ein Abend in der „Gemeinde Gottes“

Nach der Annexion beginnt die Mission. K.O. Böhringer, „Kanal Gottes“, Schweizer Prediger der „Gemeinde Gottes“, wirkte 17 Tage in Schwerin und bringt nun, begleitet von 30 jungen Leuten aus Süddeutschland, „unserem Volk“ im kürzlich eröffneten Gemeindezentrum in der Friedrichstraße (West) die frohe Botschaft oder den Glauben. „Live“.

Die Meßlatten stimmen nicht mehr“ (Ingeborg Drewitz). Ideologien und Wertvorstellungen sind am Ende. Fetische werden entführt und gewinnen in Abwesenheit neue Ursprungsmacht. In Gemeindezentren erblüht wie schon in den siebziger Jahren neu das Leben. Suchende junge Menschen erkennt man am Buch in ihrer Hand: Camus‘ Mythos von Sisyphus. Auf französisch und auf deutsch, damit's auch jeder kapiert, sieht man ein Schwarzweißfoto des besagten Büchleins in der Broschüre, die ich - neben einem Stückchen Konfekt - als Gastgeschenk in der „Gemeinde Gottes“ als besondere Überraschung erhalte.

„Glaube Live“: In der Einladung zur so betitelten Veranstaltung, die mir ein freundlicher junger Mann mit strahlendem Lächeln in die Hand drückte, wurde die Lage beschrieben: „Vor uns liegt ein heißer Herbst, politisch, wirtschaftlich und auch geistlich gesehen. Die Wahlen, Vereinigung Deutschlands, die große wirtschaftliche Not in der DDR, die Spannungen im Nahen Osten usw. Aber auch geistlich wird gekämpft. Wir rechnen mit dem Sieg Christi. (...) Menschen merken den materiellen Betrug, wachen auf, sind geschockt. (...) Hüben wie drüben herrscht der Materialismus. Aber immer mehr Menschen begreifen, daß man nicht vom Brot allein lebt. (...) Die Menschen in unserem Volk brauchen Jesus. Ohne Ihn sind sie verloren.“

Ihn können sie nicht mehr finden in der Anonymität der großen Kirchen. „In der großen Kirche sind die ja so ernst und unpersönlich“, erzählt mir eine etwa 50jährige Frau. „Die in der Gemeinde Gottes dagegen sind fröhlich“, und „ich bin fröhlich, obwohl es mir schlecht geht“. Und sie fügt hinzu, daß sie gerade verlassen wurde von Mann und Kind. „Die“, das sind die Glieder der „Gemeinde Gottes“, einer in Stadt und Land äußerst erfolgreichen freikirchlichen Vereinigung. Sie versuchen, zu urchristentümlichen Formen zurückzukehren, mit öffentlichem Bekenntnis, Erwachsenentaufe, Fußwaschungen vor dem Abendmahl, mit demokratisch gewählten Pastoren, einander helfend unterstützenden „Brüdern“ und „Schwestern“. Die Worte der Bibel nehmen sie wörtlich. In „Straßeneinsätzen“ wollen sie Menschen fischen. Sie fischen auffallend viele Menschen aus den Behörden. Bekehrt „gehen die dann zum Personalchef und sagen, daß sie beim Stempeln geschummelt hätten“ und wollen das erschummelte Geld wieder abziehen lassen. Doch der Personalchef läßt nicht mit sich reden. So wurde mir erzählt.

„Ich rannte auf einen Berg, ganz allein, und schrie in den Himmel hinein: 'Gott, ich will endlich wissen, was los ist?'“ berichtet ein junger „Freak“ in der Erweckungsberichtsbroschüre und lebt fortan recht glücklich. Wie die Kunstradfahrweltmeisterin Heike Marklein - „ich war verwandelt - ich wurde Weltmeisterin“, wie Bono Vox, Lead -Sänger der Rockgruppe U2 - „Wir sind eine Gruppe, in der Leute einen Glauben entdecken, den Glauben an Christus“ -, wie Rune Bratseth - „der fairste Vorstopper Europas“, wie Cliff Richard, Heiner Lauterbach (Männer), Whitney Houston und andere mehr.

Bei der Veranstaltung in der Friedrichstraße 231 wurde fest mit „dem Wirken des Heiligen Geistes“ gerechnet. Der Raum im vierten Stock ist hell und karg, anders als beispielsweise bei der goetheversessenen anthroposophischen „Christengemeinschaft“ in Wilmersdorf, wo rosa der wärmende Mutterleib dominiert. Rechts ist ein großes hölzernes Kreuz, ohne den angenagelten Herrn, denn Jesus lebt, in der Mitte der Altar, links stehen Blumen und Orgel. Klavier noch dazu. Mit dem Overheadprojekt „Geha“ werden wie in der Schule Liedertexte an die Stirnseitenwand geworfen, bleiben gelblich dort kleben und wandern weiter. Hundert passen in den Raum, 30 sind vielleicht da. Aus Süddeutschland junge Menschen, die vorne mit Gitarren singend Stimmung machen und recht bürgerlich ordentlich normal aussehen. In lila Turnschuhen ein Berliner Mantafahrer, ein anderer in bunten Shorts, viele Frauen, alte Männer, ein Pole, der, so sagt es ihm Pastor Joh. W. Matutis, doch hoffentlich jetzt schon deutsch kann, ein paar junge Rumänen, die das alles parallel übersetzt bekommen. Schweizer, Berliner, Bürger der DDR und drei Neue. Fröhlich klatscht die Gemeinde beim Singen in die Hände oder wippt mit den Füßhen. „Der Herr ist Mahl und Tisch.“ (Und der Tisch ist weg.) „Hallelujah“.

Das immer von Gott abgewandte schuldige Ego ist die Ursache für allerlei Lebensqual, so erfahren wir. So sollen wir die Liebe Gottes annehmen und ihm das Herz in die Höh‘ reichen. Die offenen Handflächen werden in den Raum gestreckt. Ich bin ohne Falsch. Ein schon etwas betagter Bruder spricht das Gebet, in Zungen, sich selber anfeuernd improvisiert er. Wie im Gruselfilm hört man es dumpf „Hallelujah“ oder „Oh“ und „Ah“ murmeln. Und wie als Kind früher in der Kirche bewegt man beim Singen mit schlechtem Gewissen den Mund mit und brummt was. Als „Schaufenster“, „Kanal“ oder „Werkzeug Gottes“ spricht Bruder Karl Otto Böhringer dann und kommt nicht recht in Form. Es geht mit vielem Duzen darum, daß alle wider die Welt und den Nächsten murren und sollten doch wider sich murren: „Bei euch ist das wohl nicht so?“ Als K.O. Böhringer aus dem Flugzeug stieg, da entnahm er der murrenden 'Morgenpost‘ nur kleinmütige Mäkeleien. Währenddessen greift ein feingliedriger rumänischer Herr versteckt zum Flachmann und verschwindet, als die Gemeinde die Augen schließt, um denen die Möglichkeit zu geben, die ergriffen von des Predigers Rede sich bekennen wollen.

Der Mensch ist Schuld und Gott gab seinen Sohn zur Entschuldung; er beugt sich Dir runter und du kommst oder nicht. Es ist also wie beim Psychoanalytiker, der seine Person als schützend begrenzte Projektionsfläche zur Verfügung stellt. Frauen versuchen zu kommen, Männer versuchen nicht zu kommen. Es ist wie in der Liebe. Doch keiner kommt. Macht ja nichts. Redend stehen die vielen vor dem Ausgang und geben sich die Hand. Bei einem „besonderen Einsatz“ in Marzahn hofft der Pastor, einen Terroristen zu bekehren. - „Hallelujah“. Tief ins Innere schaute ein süddeutscher Bartträger und wünscht, daß ich wiederkomme und wird für mich beten.

Detlef Kuhlbrodt

Glaube Live in Berlin-Mitte, Friedrichstr. 231, 4. Stock, 28.8. bis 9.9., tägl. 19.30 Uhr; außerdem jeden Samstag, 19.30 Uhr, Evangelisation in Berlin-Mitte, Alexanderplatz, Filmtheater des Infozentrums (Fernsehturm).