Imitation of Life

■ Douglas Sirks „Zeit zu lieben und Zeit zu sterben“, 20 Uhr, West 3

Mitten im eisigen Schnee der Ostfront, es ist das Jahr 1945, leuchtet ein pastellfarben blühender Baum. Aus der Ferne gellen Kommandos, die wegen des dumpf hallenden Studiotons zugleich sehr nah klingen.

Die kulissenhafte Szenerie des Schlachtfelds wirkt wie die Vorwegnahme eines Roger-Corman-Films. Sofort entsteht jene künstlich realistische Atmosphäre eines - besseren - Comic -Panels; was stört, wird unauffällig ausgefiltert, zugleich kultiviert der Melodramatiker Douglas Sirk einen aufs realistische Detail versessenen Inszenierungsstil. Die sich zurückziehenden deutschen Soldaten werden gezwungen, russische Bauern zu erschießen. Ein Neuankömmling wird mit dieser Schuld nicht fertig und erschießt sich. Plötzlich sind wir in diesem kinematographischen Puppenhaus mit knallharter Realität konfrontiert.

A time to love and a time to die wurde 1958 nach dem (fast) gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque mit beträchtlichem Aufwand in Berlin verfilmt (Remarque selbst spielte eine kleine Rolle). Obwohl damals Ruinen noch reichlich vorhanden waren, wirken die morschen Gemäuer zuweilen wie handkoloriert. Auf kurzem Fronturlaub stapft der junge Soldat Ernst Graeber (John Gavin) über die Trümmerfelder seiner Heimatstadt. Als Ernst vor dem zerbombten Haus seiner Eltern steht - wir haben das schon geahnt -, ist es, als ob eine verborgene, innere Schleuse beim Zuschauer geöffnet wird, sprichwörtlich.

Obwohl Sirk gnadenlos auf die sogenannte Tränendrüse drückt, handelt es sich bei seinen melodramatischen Epen nicht um gefühlstriefende Schmachtfetzen im Stil von „Vom Winde verweht“. Die zwangsläufig tragisch endende Liebesgeschichte zwischen Ernst und Elisabeth (Liselotte Pulver) transportiert unauffäliig eine Menge realistischer Details. Bei der großen Anzahl von Charakteren, die der Film präzise und glaubwürdig zeichnet, ist der Wille zur Differenzierung unübersehbar. Unübersehbar ist ebenfalls die präzise Raumaufteilung, die selbst kurzen Distanzen eine verschwimmende Tiefe verleiht.

Unerreicht ist Sirks Umgang mit dem Breitwandformat Cinemascope, über den Godard 1959 begeistert schreibt: „Wenn die Kamera schwenkt, wird die Landschaft notwendig unscharf. Sirks Intelligenz beim Verstecken dieser Unschärfe besteht darin, immer andere Leute vor oder hinter den Personen laufen zu lassen, denen er folgt, und die Fehler, die durch große Geschwindigkeiten entstehen, zu unterdrücken, indem er noch schneller ist.“ (Hätte Spielberg sich das gemerkt, bräuchte man für „Indiana Jones III“ keine Entzerrerbrille.)

Sirks Filme sind Kunstwerke von erlesener Schönheit, deren „emotionale“ Wirkung aus dem kalkulierten Einsatz kinematographischer Mittel entsteht. Wer dem Film vorwirft, der Krieg sei nur der Hintergrund für eine kitschige Liebesgeschichte, hat nichts begriffen. Schon Sirk-Liebhaber Fassbinder schrieb in seiner hysterischen Lobeshymne: „Der Krieg und das Grauen sind nur Dekor. Man kann keinen Film machen über den Krieg. (...) Der Roman von Remarque Zeit zu leben - Zeit zu sterben ist pazifistisch. Remarque sagt, ohne Krieg wäre hier eine ewige Liebe, Sirk sagt, ohne Krieg wäre hier keine Liebe.“ Genau das ist es.

Manfred Riepe