„Wir hungern für die kämpfenden Irakis!“

■ Amman zwischen Kriegsbegeisterung und Demokratisierung / Freiwillige melden sich für den Einsatz im Irak „Hoch König Hussein und Saddam!“ / Aus 1956 lernen, die Fehler von 1967 vermeiden / Aktionseinheit aller Parteien

Aus Amman Nina Corsten

Der Zusammenstoß des Ende 1989 einsetzenden Demokratisierungsprozesses in Jordanien mit der Krise am Golf hat hier in der Hauptstadt Amman, ebenso wie in der Provinz, eine eigenartige und möglicherweise explosive politische Situation entstehen lassen: Ein fast euphorisches Aufleben lange vorenthaltener politischer Freiheiten steht neben der Wiedergeburt alter politischer Hoffnungen auf die nationale Einheit aller Araber. Täglich finden sich in den Zeitungen Aufrufe zu Demonstrationen, Tausende von jungen Männern haben sich in den letzten Wochen in die Listen der jordanischen Armee eingetragen, andere haben sich direkt zum Einsatz im Irak gemeldet.

Letzte Woche überreichten demonstrierende Frauen Vertretern der amerikanischen Botschaft in Amman ein Memorandum an den amerikanischen Präsidenten, in dem sie den sofortigen Abzug der amerikanischen Truppen forderten. Tags darauf fanden sich zwischen 1.500 und 3.000 Frauen vor dem Radhadan-Palast ein, um ihre Unterstützung für „Jordaniens ehrenhafte und tapfere Position“ und für den „Zusammenhalt in der Schlacht, die wir gegen die Kräfte der Ungerechtigkeit und der Unterdrückung und zur Verteidigung unserer heiligen islamischen Stätten und zu Ehre der arabischen Nation führen“ öffentlich kundzutun.

Eine von vielen politischen Kundgebungen fand am Freitag in Ar-Roseisa, einer Kleinstadt nördlich der Hauptstadt Amman statt, organisiert vom Jugendclub Ar-Roseisa. Am späten Nachmittag, gegen fünf Uhr versammelten sich 400 bis 500 Menschen auf einem steinigen Platz, nicht weit von jenem „Flüchtlingslager“ entfernt, das überwiegend von Palästinensern bewohnt wird. Der Platz ist von einem hohen Zaun umgeben, an der Rückseite, gegenüber dem Eingang, wird er von einer hohen Mauer begrenzt. Hier wurde eine Tribüne errichtet und Mikrophone installiert. Auf der Mauer stehen Jugendliche, manche im Out-fit der Intifada-Demonstranten in den israelisch besetzten Gebieten, mit palästinensischen und jordanischen Fahnen, großen Farbfotos von König Hussein und Saddam Hussein in Uniform und mit Transparenten: „Das arabische Öl den Arabern!“, „Die arabische Erde den Arabern!“ und: „Wir werden hungern, damit die Iraker satt werden können!“

Ohrenbetäubung dröhnt rhythmische Musik aus den Lautsprechern. Auf der Bühne stehen acht junge Männer und wiederholen im Chor den Text des Vorsingers. Diese Vortragsform ist, ebensowie die Melodie, alten palästinensischen Bauernliedern entnommen. Die Texte sind neu: „Scheris Hussein (gemeint ist der jordanische König) und Saddam Hussein haben die ganze Welt herausgefordert! Wir sind bereit ihre Befehle auszuführen! Volk von Irak, habt keine Furcht - wir sind auf deiner Seite!“

Der Platz füllt sich. Immer mehr Männer und vor allem männliche Jugendliche im Alter zwischen zwölf und sechzehn Jahren treffen ein. Frauen sind kaum zu sehen. Die Stimmung ist laut und hektisch. Die Musik hat sich mittlerweile verändert. Zwei Männer singen abwechselnd, in einer Art Dialog. Der eine hat die Rolle des mahnenden Moslems übernommen, der andere trägt „poetisch-politische Analysen“ vor: „Es gibt eine amerikanisch-britisch-europäische Allianz mit dem Zionismus, um die Ehre der arabischen Nation zu kränken!“ Der andere antwortet: „Wir müssen zurück zum Islam. Unsere Einheit ist die arabische und die islamische Einheit!“ - Tosender Beifall, klatschen, jodeln, pfeifen.

Anschließend versuchen sich die fünf Redner der Veranstaltung, zwei nicht mehr ganz jungendliche Vertreter, zwei Parlamentarier und ein Parteisekretär mit sehr unterschiedlichem Erfolg in der Kunst der Rhetorik. Die auftretenden Politiker gehören jener Gruppe von Parteien an, die sich in dem 1989 nach vielen Jahren neugewählten Parlament zum sogenannten „demokratischen Block“ zusammengeschlossen haben und die wichtigste politische Konkurrenz zur „Moslembrüderschaft“ sind.

Ihre Aussagen sind in vielen Punkten sehr ähnlich - und das entspricht ganz der gegenwärtigen politischen Stimmung in Jordanien: Eine Einheitsfront gegen den Aufmarsch der US -Truppen am Golf ist entstanden und demgegenüber treten alte politische Differenzen und die Unterschiede in der Haltung zur irakischen Annexion des Kuwait in den Hintergrund.

Der Sprecher von „Hasched“, der jordanischen Unteroraganisation der palästinensischen Volksfront PFLP: „Eine bedingungslose Allianz“ gehe durch das politische Spektrum Jordaniens, „von den Kommunisten bis zu den Moslembrüdern.“ - Tosender Beifall. Man dürfe angesichts der Nachricht vor drohenden Zuspitzung der Golfkrise sich davor hüten, die „Erfahrung von 1967“ zu wiederholen. Vielmehr müsse man aus der „Erfahrung von 1956“ lernen. Darum solle die Regierung endlich mit der Volksbewaffnung beginnen.

Der Kurs auf „1967 und 1956“ wird vom Publikum sofort verstanden: 1967 besetzte die israelische Armee unter anderem die damals zum jordanischen Königreich gehörende Westbank einschließlich Ostjerusalems. Viele Leute sind heute der Auffassung, daß Ufer sei damals nicht entschlossen genug verteidigt worden. Im Krieg 1956 konnte sich Ägypten gegen England, Frankreich und Israel behaupten, die damals versuchten, eine Verstaatlichung des unter britischen Kontrolle stehen Suezkanals durch den ägyptischen Präsidenten Nasser zu verhindern. Das Datum 1956, so lasse ich mir erklären, löst beim Publikum eingerastete Reaktionen aus. Da ist die allgemeine Empörung über die „Gier des Westens nach dem arabische Öl“ - 1956 ging es um die Kontrolle eines für die Weltwirtschaft überaus wichtigen Zufahrtsweges, der durch die Verstaatlichung nicht nur „arabisiert“ wurde. Und da ist die Erinnerung an den ägyptischen Präsidenten Nasser; in den letzten Wochen ist sein Name in vielen Gesprächen gefallen: Der irakische Präsident Saddam Hussein, so meine manche, sei der Nasser der neunziger Jahre. Unter seiner Führung habe die „arabische Welt endlich eine neue Chance zur Einigung.

Andere im Parlament vertretende Parteien haben ein ähnliches Problem: Selbst wenn ihre politische Haltung der Saddam-Begeisterung widerspricht, versuchen sie sich doch zur Zeit durch eine „Einheitsfrontrhetorik“ an die Stimmung ihrer Klientel anzupassen. Übereinstimmung besteht, daß die US-Truppen auf der Golfregion abziehen müssen, um den Weg für eine innerarabische Lösung des Konflikts freizumachen. Trotz aller Verehrung, derer sich Saddam Hussein bei allen sozialen Schichten zur Zeit erfreut, gehen manche Parlamentarier doch davon aus, daß die gegenwärtige Einheitsfront für den irakischen Präsidenten eine Art kollektiver Abwehrreaktion gegen die westliche militärische Intervension ist. Ob sie einen Rückzuges der amerikanischen Truppen überstehen würde ist ungewiß.