Quartettspiel um Patienten

■ Forensisch-Psychiatrisches Symposion über die Situation psychisch kranker Straffälliger / Verantwortliche schieben sich gegenseitig Schwarzen Peter zu

Berlin. Wilfried Rasch, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der FU, brachte es auf den Punkt: „Im Maßregelvollzug neigt man zum Quartettspielen.“ Verwaltung, Justiz, Therapeuten und Patienten säßen an einem Tisch und schöben sich den Schwarzen Peter zu. Die Verwaltung gebe kein Geld, die Justiz urteile falsch. Die Therapeuten diskutierten über Lockerungen, „wenn sie nicht gerade Kaffee trinken“, und die Patienten seien „sowieso unverbesserlich“. Das seien die gegenseitigen Vorwürfe. Aber genau so wolle es man nicht machen beim „1. Forensisch-Psychiatrischen Symposium Berlin“, das von Montag bis Mittwoch vom Bezirksamt Reinickendorf und der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik (KBoN) veranstaltet wurde. Statt dessen betrieben die TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion - „Maßregelvollzug Scheitern oder Chance“ - eifrig mea culpa. Die Juristen würden zu schnell mit den Fingern auf die Psychiater zeigen, sagte Bundesrichter Hartmuth Horstkotte. Aber „wir sind es doch, die die Vorgaben schaffen“. Der Psychiater Norbert Leygraf betonte die Mängel im therapeutischen Bereich. Und Sybilla Fried, Psychiatrie-Referentin der Stadt Berlin, gab zu, daß ein finanzieller Bedarf in der Psychiatrie bestehe. Nur die Patienten - Straffällige, die aufgrund psychischer Störungen vom Gericht in die Psychiatrie eingewiesen werden

-, die fehlten auf dem Podium.

Zwei Patienten aus der forensischen Abteilung der KBoN hatten aber der „total oberflächlichen“ Veranstaltung einiges hinzuzufügen. Besonderen Wert legten sie auf die Verbesserung der Reintegration. Oft würden die Patienten entlassen, ohne daß sie sich „draußen zurechtfinden“ könnten. Verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten während der Unterbringung und mehr Geld, um sich etwas ansparen zu können, seien dringend nötig. Die Hälfte der Unterbringungszeit könnte, ambulant, in WGs oder Wohnheimen, dazu genutzt werden, die Patienten „langsam wieder ans Leben heranzuführen.“ Es sei wichtig, die Erfahrungen der Patienten einzubeziehen, auch wenn sie subjektiv seien. Außerdem forderten die Patienten, daß die Anwälte besser im Maßregelrecht ausgebildet werden sollten. Kaum einer kenne sich aus.

Das bestätigte ein Anwalt aus dem Publikum. Auch könne kein Anwalt ein forensisch-psychiatrisches Gutachten beurteilen. Hinzu komme, daß die Betreuung eines untergebrachten Patienten aufwendig sei und kaum Geld einbringe. Das führe dazu, daß die Patienten während der Unterbringung nicht anwaltlich betreut würden. Er habe beim Symposion zwei Kolleginnen gesehen. Das zeige das Nicht-Interesse für den Maßregelvollzug. Auch der Anwalt war unzufrieden mit der Veranstaltung. Die Vorträge seien oberflächlich, wenig selbstkritisch und nicht zukunftweisend gewesen.

Auf dem Podium herrschte Einigkeit darüber, daß der ambulante Bereich verbessert werden müßte. Zu wenig Richter, so Horstkotte, nutzten den Paragraphen 67b, nach dem der Vollzug der Maßregel ausgesetzt werden kann. Gleichzeitig wurde über die Integration der forensischen in die allgemeine Psychiatrie nachgedacht. Die Patienten im Maßregelvollzug, so Hans-Georg Gerber vom Landeskrankenhaus Merzig/Saarland, „unterscheiden sich nicht von anderen psychiatrischen Patienten“. Auch die therapeutischen Maßnahmen unterschieden sich nicht. Um eine zu hohe Stigmatisierung verhindern zu können, sei er für die Integration. Fried sprach sich für die gleiche Grundversorgung aller Patienten mit speziellen Therapien aus.

Gegen eine Integration waren die anwesenden Ärzte der KBoN. Die Toleranz des Pflegepersonals gegenüber forensischen Patienten sei zu gering. Integrationsversuche seien in den vergangenen Jahren stets gescheitert. Eine Zusammenarbeit im ambulanten Bereich sei aber wünschenswert. Leygraf warnte vor der Integration. Sie könne auch bedeuten, daß Patienten, die eigentlich nicht in die Klinik gehörten („Kriminelle“), in den Strafvollzug integriert würden. Dieser Nebeneffekt sei unerwünscht.

Die Frage, ob die forensische Psychiatrie eine Chance habe oder gescheitert sei, wurde nicht beantwortet. Bezirksbürgermeister Detlef Orwat hofft, der Lösung beim nächsten Symposium in einem Jahr näher zu kommen. Wichtig sei es, dann auch das Pflegepersonal zu hören. Von den Patienten war wieder nicht die Rede.

Christel Blanke