Zeitlose U-Kunst

■ Ein neues Quartier

„Die Bar ist ja noch okay, aber innen drin, der Saal sieht furchtbar aus“, warnt ein Altfreak am Eingang. „Überwältigend“ findet es der notorische Kulturgänger und labt sich am roten Samtvorhang, an der rotblauen, angestrahlt tiefleuchtenden Wand- und Deckengestaltung. Dann sind da noch die kleinen Tischchen und Stühlchen mit numerierten Tischtelefonen, mit denen man, wenn's funktioniert, die Damen und Herren seiner Wahl belästigen oder, wie vom Hause vorgeschlagen, „das Personal scheuchen kann“. Und der kugelbewehrte, stilistisch gewagte Deckenleuchter, über den man gerade noch so gelästert hat, „ist ein Geschenk von Roncalli“. So versuchen die Hausherren, die drei Tornados, bei der großen Gala, dem „stadtpolitischen Ereignis“, ihre und unsere Bedenken zu zerstreuen. Und zwingen mit vorauseilender Selbstkritik über das Haus und über ihre neue Eigentümerrolle die Abweichler auf ihre, die lachende Seite.

Kein Zweifel, das Quartier, zuletzt Musentempel für Szenekultbands und werdende Musiker, hat sich nach fast einjähriger Umbaupause radikal verändert. Nach den Vorstellungen des Tornado-Aktivisten Holger Klotzbach, der für die künstlerische Konzeption verantwortlich ist, soll hier in Zukunft „zeitlose Unterhaltungskunst“ ihren Ort finden. Damit wird das Programmspektrum über Rock-, Pop- und Jazzmusik hinaus durch Variete- und Kabarettauftritte, Kino und Disko erweitert. Ein ganz neues Publikum wird angesprochen, das alte will man aber nicht verlieren. Ein Zusammenprall der in Berlin ansonsten fein säuberlich getrennten Ingroups ist mit Überzeugung geplant, für „Minilokalpatriotismus“ ist kein Platz. Dafür ist ansonsten mehr Platz als vorher, nachdem man die Kinobestuhlung herausgenommen hat. Unbestuhlt faßt das Quartier 1.100 Leute, mit Reihenbestuhlung 800 bis 900. Dazu kommen 100 bis 200 Plätze im Rang.

Für die Programmkonzeption der „Music Hall“ (überregionale und regionale Musik-Acts) ist Michael Schäumer, vormals in der Loft-Direktion tätig, zuständig, den regelmäßigen „Blauen Montag“, „Berlins schrägste Varieterevue“ betreut Arnulf Rating, Holger Klotzbach managt den Varietebereich und Lutz Deisinger das neu konzeptionierte Kino, das diesen Sonntag mit dem Billy-Wilder-Film A foreign affair seine Premiere hat. Mit dem Kino findet das Quartier zu seiner ursprünglichen Bestimmung als „Biophon„ -Stummfilmlichtspieltheater zurück. Eine Tradition, die durch kommerzielle Kinopolitik völlig in Vergessenheit geriet, soll denn auch wieder aufgenommen werden: die der Vor- oder besser Kurzfilme. Das Programm orientiert sich an politischer Satire und an lange nicht oder überhaupt noch nicht gezeigten Filmen. An jedem letzten Sonntag im Monat wird außerdem ein „schwuler Film“ gezeigt, d.h. ein Film, in dem Schwulsein als selbstverständliche Lebens- und Liebesform vorkommt.

Zum täglich spartenwechselnden Programm kommt der Restaurant- und Barbetrieb. Nicht zuletzt damit soll der hohe Anfangsaufwand der vier Gesellschafter, zu gleichen Teilen mit der kölschen Rockgruppe BAP und den Tornados besetzt, wieder eingespielt werden. Rund vier Millionen Gesamtvolumen, subventioniert durch 1,7 Millionen Lottozuschuß, sind keine geringe Investition. Ein wohlwollendes Publikum, das hat schon die Gala gezeigt, ist jedenfalls da.

DoRoh