Talentierte DilettantInnen

■ „Street Sisters“, ein Musical der Mamu Players im Tempodrom

Eine der überlieferten Jazz-Legenden berichtet von einem schwarzen Saxophonisten, der seinem Erstaunen Ausdruck verleiht, nachdem er das erste Mal vor einem weißen Publikum gespielt hat: „Wie können die still an ihren Tischen sitzen, ohne sich zu bewegen, mit den Fingern zu schnippen, in der Stimmung mitzugehen? Die hören einfach nur zu. Und du stehst auf der Bühne und bläst gegen dieses Schweigen. Kein Spaß, Mann, das ist kein Spaß.“

Im Tempodrom wird momentan das südafrikanische Musical Street Sisters von John Ledwaba gespielt. Während ich im Zelt sitze, umgeben von wohlwollenden Sympathisanten, kommt die Erinnerung an diese Geschichte mit dem Jazz -Saxophonisten hoch; auf der Bühne mühen sich die 38 „talented individuals“ wacker ab, sprechen, singen, tanzen mit Schwung und Drive, und das Publikum sitzt geschlossen wie ein Klotz. Der Funke, der die unbestreitbare Spielfreude in den harrenden Zuschauerblock übertragen könnte, will nicht zünden.

Gelegentlich wispert es zwischen den Nachbarn, daß es doch ganz schön anstrengend sei, den englischen Texten zu folgen und sie zu verstehen. Die klaren Stimmen der jeweiligen Solo -SängerInnen gehen gelegentlich im Sound unter, tragen nicht weiter als bis zu den mittleren Reihen. Da spannt sich der Körper, wird aufmerksam Ohr und Auge und sucht sich aus der vorbeiziehenden Signalmenge das, womit er etwas anfangen kann. Das ist in erster Linie wohl ein technisches Problem.

Street Sisters führt ein in die Situation schwarzer Prostituierter in Südafrika, genauer: in Johannesburg. Das Stück enthält sich zum Glück naheliegender rigider Moralismen, beschränkt sich auf die Darstellung einiger Ausschnitte von widersprüchlicher Realität. Da ist Tiekieline (Khabo Magasela). Sie flieht ihr elterliches Heim, da sie gegen ihren Willen von ihrem Vater verheiratet werden soll. Ohne Geld macht sie sich auf den Weg nach Johannesburg, zahlt eine Taxifahrt mit ihrem Körper und wird so zur Prostituierten. Die „Street Sisters“ versuchen, in einer Welt zu überleben, in der traditionell die Männer das Sagen haben und für den Unterhalt der Familie aufkommen; in einer schwarz-weiß geteilten Welt, die ihnen keine Möglichkeit einer Ausbildung gibt. So bleibt den schwarzen Frauen kaum eine andere Möglichkeit, als ihren Körper zu verkaufen.

In Johannesburg besteht das soziale Gefüge der „Homelands“ nicht mehr. Diebe und Straßenräuber, die „Majita“, gehören nun zum Umfeld der „Street Sisters“. Der Boß der Majitas (Menzi Ngubane), im Outfit eines Chicagoer Gangsters der zwanziger Jahre gekleidet, macht der halbseidenen Unterewlt das Leben schwer. Die Puffmutter Stopnonsense (Tiny Masilo) bildet den Gegenpol, sorgt sich, wie es sich gehört, um das Wohl und Wehe ihrer Mädchen. Sicherheitsmaßnahmen sind lebensnotwendig, das macht die Geschichte vom weißen Freier deutlich, der von Schwarzen ausgeraubt wird und das Hohelied vom weißen Schwarzen-Massenmörder singt; oder die Geschichte vom weißen Polizisten, der sich mit Gewalt eine schwarze Hure nimmt.

Der großstädtischen schwarzen Subkultur, deren Leben Kampf, Vereinzelung und Leid ist, wird die alte kulturelle Tradition gegenübergestellt. Da ist die Mutter Tiekielines (Rose Mboniswa). Sie kommt nach Johannesburg, um ihre Tochter zu finden, erlebt die Kälte der Stadt. In einer anderen Szene erfragt sie Hilfe vom Medizinmann eines Dorfes. Er rät ihr, eine Kuh zu opfern. Sie gerät in den Sog einer fanatisch christlichen Gruppe und trifft schließlich auf Papa John (Raymond Sibanda). Dieser, obschon er für die „Street Sisters“ als eine Art guter Geist arbeitet, hält wie die Mutter fest an den Traditionen seiner ursprünglichen Kultur. Zusammen finden sie Tiekieline, die inzwischen, an Aids erkrankt, im Sterben liegt.

Die „Mamu Players“, die das Stück aufführen, sind im strengen Sinne autodidaktische Dilettanten. Ohne je in den Genuß der Chance gekommen zu sein, schauspielerische Ausbildung zu erfahren, haben sie sich unter der Leitung von John Ledwaba daran gemacht, Street Sisters auf die Bühne zu bringen. Dieser Mangel an Professionalität wird durch die enorme Spielfreude der Akteure wettgemacht; dazu hat das Stück dieses Flair authentischer Kultur von unten: kleine Details, die zueinander passen und Atmosphäre schaffen. Am gelungensten die Szenen, in denen die ganze Truppe agiert, Chorszenen mit wechselnden Gegengesängen oder Tanzszenen, in denen der kolonialistische Blick einen umgekehrten Rassismus pflegt und wohlwollend erkennt, daß Schwarze nun mal besser tanzen können als Weiße.

Street Sisters hat eine Message. Die lautet, daß es die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt, in der die Menschen die „gleiche Sprache“ sprechen, in der die kulturzerstörenden, ausweglosen Verhältnisse, die schwarze Frauen in die Prostitution treiben, nicht mehr gelten. Zu wünschen wäre Stück und Schauspielern, daß die kommenden Aufführungen auf ein eher emphatisches Publikum treffen, das nicht sein irritiertes Vorwegeinverständnis in neurotischem Klatschzwang entlädt.

Rudi Stoert

„Street Sisters“ noch bis zum 2. September im Tempodrom. Vorstellungen jeweils um 19.30 Uhr.