„Wir sind das Kapital“

■ Mit einem „großen Spektakel“ öffnete das „völlig neu gestaltete Quartier“ am Mittwoch abend seine Pforten: Ausschließlich für geladene Gäste und mit einem Programm von Ramersdorf bis Pankow

Eine Art Neumond mit Punkt und Sichel fügt sich zum Q, das als neues Emblem hinter der Big Band der sowjetischen Streitkräfte auf der Bühne silbern glänzt. Das Q könnte man auch für ein U halten: U wie „zeitlose Unterhaltungskunst“ in der „Tradition der zwanziger und dreißiger Jahre“. „Wintergarten“ und „Scala“ werden in der Presseinformation erwähnt. Daran möchte man anknüpfen und setzt sich in Analogie zu Bernard Pauls Variete Roncalli und zum „Schmidt“ in Hamburg.

Im Quartier wird es Kabarett, Variete, Music Hall, Kino, ein gepflegtes Restaurant und ein Cafe geben, das dankenswerterweise schon ab 7 Uhr morgens geöffnet hat. Frühstück gibt's allerdings erst ab 9 Uhr.

Das U, das vor zwanzig Jahren, in der Adoleszenzzeit der Macher und ihrer Freunde, in anderen multimedialen Zentren „Melkweg“, „Paradiso“ oder „Auenland“ - für „Underground“ stand und sich für kurze Zeit aus dem Gegensatz zu Mainstream, Alter, Eltern konstituierte, bedeutet nun „Unterhaltungskunst“. U-Kunst kennt nur einen Gegensatz, das ist die E-Kunst. Beiden gemeinsam, als Witzbegriffe in den etablierten Rundfunkstationen verwendet, ist der saubere Glanz, der Verzicht auf die Dialektik aller expressionistischen, hippieesken, jugendprotestlerischen Aufbrüche, die das Neue begründen sollten.

Nun im Alter der früher verachteten Väter, versuchen die Macher das Paradies der Jugend ihrer Eltern wiederzufinden und sind doch schon zu alt. Sind so alt wie die Väter, so alt wie das Establishment, „das sie als Studenten zu stützen halfen“ (Tornados), lassen sich treiben auf der Welle des Innovationsschubs, der jetzt also endlich und richtig angekommen ist. Und machen sich als Macher selber zur sicher nicht unsympathischen Zielgruppe - wir um die vierzig aus der antiautoritären Bewegung. Die im Protest erwachsen Gewordenen sorgen für ihre Kinder. Die Kinder sind eine andere „Zielgruppe“, mit anderen „kulturellen Bedürfnissen und Wünschen“, die in der Music Hall erfüllt werden. Gut gekleidet, sind die Generationen vereint in der Wunscherfüllungsmaschine Quartier. Die Tochter ist die beste Freundin der Mutter, und beide tanzen zusammen bis in den Morgen. „Die Kulturfabrik gehört zum Kapitalismus wie der Karneval zum Katholizismus.“ (Tornados) Die „Spitzenleistungen der Gedächtniskunst“ eines Rechenkünstlers aus dem früheren Sozialismus, der, unterstützt von „Frau Gisela“, erstaunliche Rechenkunststücke vollführte, vermögen dagegen nur wenige zu begeistern.

Die Eltern sind links. Sie haben überlebt, „ohne zum Schwein zu werden“ (Tornados). Das Schwein ist nun nur noch Phantasma des Rockopas; ein aufgeblasenes Püppchen am Potsdamer Platz. Nur noch im unteren Bereich des Doppeldeckers hört man diverse Schweinereien. Die „Nachtigall von Ramersdorf“ beschimpft auf der Hinfahrt zu ihrem Auftritt den Busfahrer, die BVG, das ganze Verkehrswesen wegen unerträglicher Langsamkeit. (Welch eine Heldentat! d. säzzer) Später, auf der Bühne, wird sie als einzige mit „Da-capo„- und „Bravo„-Rufen verabschiedet, weil sie die Kinder- nicht die Jugend-, die schüchternen Schlagersehnsüchte des Vaters aktualisiert: „Einmal um die ganze Welt und die Taschen voller Geld/ davon hab‘ ich schon als kleiner Bub geträumt.“ Das ist auch die „Sehnsucht“ von Blixa Bargeld, der so gerne mit der Nachtigall im Duett gesungen hätte und ohne Nachtigall alleine steht.

Walter Momper träumt; seine Glatze leuchtet im Familienpulk in den Lichtern der Nacht, Thomas Rogalla träumt; Udo Lindenberg träumt allein in der Eingangshalle (und unter dem Hut wippt die Stirn), träumt für alle auf der Bühne steppend: „Du hast Glück bei den Frauen, bel ami“. Die „Intrepidas“, zwei Frauen, hauteng expressiv, schwingen auf dem Trapez. Hin und her und her und hin, daß es eine große Freude ist. Dann kommt der junge Mann per se, Wiglaf Droste, die Körperfülle nur notdürftig durch schwarzen Muff überspielend, und bedient sein Publikum mit einfacher Fernsehprotestlyrik. Dann kommt der alte Mann, Hanns Dieter Hüsch. Schützend streikt sein Mikrophon für ein paar Momente. Dann redet er darüber, daß er alles vergißt und nichts mehr erkennt, und hat wohl auch seinen Text vergessen. Kurzzeitig droht die Eröffnung zur Arschlochparty zu werden, als zwei da auf der Bühne den Gegner herstellen, den Outsider hinstellen, über den sich die alternative Menge noch einmal konstituieren soll. Joe Cocker, nicht seine inbrünstige Stimme - die gibt's nur im Off -, sondern seine Krankheit, Spasmus, Alkoholismus, wird in einer unglaublich reaktionären „Parodie“ parodiert. Gesundes Lachen soll das erzeugen. Es gibt Reaktionen: ein paar Pfiffe, vor allem aber gehässigen Beifall, in den George Gruntz zur Rettung des Abends hineinhaut. Er trommelt überall, auf die Tische, auf die Gläser, daß die Gläser zersplittern und der Sekt herumspritzt, verschwindet verärgert, um der gemeinschaftserzeugenden, weißgekleideten UFA-Sambatruppe Raum und Rhythmus zu geben, den die auch dreist nutzt.

Versunken sinnend, im Rot und Blau des Saales kreisend, beobachtet Max Thomas Mehr die Träume und Wünsche, die sich per Telefon doch eigentlich hätten vernetzen sollen. Doch kein Telefon klingelt, in keinem Hörer verbirgt sich die Stimme eines Unbekannten, kann sich die eigene Stimme verbergen. Da kommt ein bezaubernder Bote und überreicht mir lächelnd eine Visitenkarte von „Straps-Harry“, dem „Berliner Original“, hinter dessen grünen Haaren sich ein Proustscher Charlus zu verbergen scheint. Lila leuchten die Haare der einen Marianne neben den schwarzen Haaren der anderen. Geschäftig eilt PDS-Anwalt Johnny Eisenberg gen Osten.

Detlef Kuhlbrodt