„Berlin ist kein Sparschwein der Einheit“

■ Momper plädiert erneut für die Hauptstadt Berlin / Regierungserklärung vor dem Abgeordnetenhaus / Lebensstandard in Ost und West soll angeglichen werden / Investitionen vor allem in Ost-Berlin / AL: Einheitsprozeß zeigt das Versagen der Politik

West-Berlin. Die Ansiedlung des künftigen deutschen Regierungssitzes in Berlin sei „keine Prestigefrage, sondern eine zentrale soziale Frage“, sagte gestern der Regierende Bürgermeister Walter Momper. In einer Regierungserklärung vor dem Abgeordnetenhaus warb Momper erneut darum, Berlin auch künftig mit der Hauptstadtfunktion auszustatten, andernfalls drohten der Stadt Zehntausende Arbeitslose. Es sei eine „Illusion“ zu glauben, Berlin sei schon wieder eine lebensfähige Stadt. Die Westberliner Wirtschaft habe nach wie vor Strukturprobleme und werde als einzige Stadt Deutschlands direkt mit einem Teil der DDR vereinigt. Sie könne deshalb nicht als „eine Art Sparschwein für die deutsche Einheit“ betrachtet werden.

Die Politik von Senat und Magistrat müsse sich jetzt darauf richten, einheitliche Lebensverhältnisse in beiden Stadthälften herzustellen, erklärte der Regierende Bürgermeister. In Ost-Berlin müsse der Lebensstandard gehoben werden, ohne ihn in West-Berlin zu senken. Gleichzeitig kündigte Momper an, dem Ostteil der Stadt künftig „Vorrang bei den Investitionen einzuräumen“. Im Westteil Berlins könne sich die Stadt „weder zusätzliche Leistungen noch zusätzliche kostspielige Projekte erlauben“. Der „größte Teil“ der 70.000 Mitarbeiter des Magistrats, der Bezirke und der kommunalen Einrichten in Ost-Berlin werde aber „weiter im öffentlichen Dienst seinen Arbeitsplatz haben“, versprach Momper.

Der Senatschef kritisierte die Bundesregierung, die es versäumt habe, parallel zur Währungsunion ein Wirtschaftsförderungsprogramm für die DDR aufzulegen. Die Finanzminister in Bonn und Ost-Berlin hätten bis heute den Wohnungsbau in der DDR nicht ausreichend gesichert. Hunderte bereits fertiggestellte Wohnungen könnten nicht an die Mieter übergeben werden, weil die Baukombinate auf Kostenerstattung warteten.

Mit Blick auf die große Koalition in Ost-Berlin und das rot -grüne Bündnis im Westen dankte Momper jetzt schon „den Parteien, die beide Koalitionen tragen“. Der Regierende vergaß auch nicht die Bonbons für die AL. Jetzt entstehe wieder das „alte quirlige Berlin“. Dazu gehörten auch die hier lebenden AusländerInnen, Besucher aus Osteuropa und „uns fremd und ungewohnt anmutende Menschen, wie die Sinti und Roma“.

Auch CDU-Chef Eberhard Diepgen plädierte in seiner anschließenden Rede für eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und West-Berlin. „So schnell wie möglich“ müsse dieses Ziel und der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ verwirklicht werden. Der 3. Oktober sei ein „großer Tag“, frohlockte der Oppositionsführer. Skeptische Töne schlug dagegen die AL-Abgeordnete Hilde Schramm an. Der Einigungsprozeß sei gekennzeichnet „durch das Versagen der Politik, durch die Ohnmacht der Politik und durch die Entdemokratisierung der Politik“. Die großen Parteien hätten „das gesellschaftliche Mitdenken dem angeblichen Zeitdruck geopfert, den sie selbst aus parteipolitischen Interessen heraus verstärkt“ hätten.

hmt