Die Mambo-Machos

■ Eine Fleißarbeit über Kuba

Was hätte das für ein Buch werden können! Der 1951 in New York als Sohn kubanischer Eltern geborene Oscar Hijuelos erzählt in seinem zweiten Roman die Geschichte der beiden kubanischen Brüder Nestor und Cesar Castillo, die an einem eiskalten Januartag des Jahres 1949 direkt aus dem sonnigen Havanna nach New York kommen und wie so viele Kubaner vor ihnen von einer großen Karriere als Musiker träumen.

Seit den zwanziger Jahren, seit die Tango- und Rumbawelle über die Vereinigten Staaten nach Europa schwappte, riß der Strom der einwandernden kubanischen Musiker nicht mehr ab. In Havanna gab es damals unzählige erstklassige, aber schlecht bezahlte Sänger und Musiker. Viele von ihnen erhofften sich im Norden das große Glück. Die US -amerikanische Musikszene erlebte eine Blütezeit. Der unvergessene Chano Pozo zum Beispiel kreierte zusammen mit Dizzy Gillespie den Cubop, eine Verschmelzung von afrokubanischer Musik mit dem Harlemer Bebop. Der erste rein lateinamerikanische Tanz, der auf US-Boden entstanden ist, war in den vierziger Jahren der Mambo, eine mit viel mehr Bewegung getanzte Variante des Rumba.

„Der Rumba leitet sich vom guaguanco her, der weit zurückreicht, viele Hunderte von Jahren, als die Spanier zum ersten Mal die Flamenco-Musik nach Kuba brachten, und dieser spanische Stil, vermischt mit den Rhythmen der Afrikaner, auf Trommeln geschlagen, führte zu den frühen Formen des Rumbas. Das Wort 'Rumba‘ bedeutet Herrlichkeit. Die Sklaven, die das als erste tanzten, wurden normalerweise über Nacht an den Knöcheln angekettet, also waren ihre Bewegungsmöglichkeiten beschränkt: Wenn sie ihre Rumbas tanzten, geschah das mit viel Bewegung in den Hüften und wenig in den Füßen.“ Die Protagonisten in der Tanzmusikszene der vierziger und fünfziger Jahre waren Latinos: Machito, Perez Prado, Tito Puente, Mongo Santamaria, Sabu Martinez, um nur einige der bedeutendsten zu nennen.

Vor diesem Hintergrund breitet Hijuelos die Lebens- und Leidensgeschichte seiner beiden fiktiven Helden und ihrer Band „The Mambo Kings“ aus. Im großen und ganzen faßt der größte Hit der Mambo Kings, der Bolero Beautiful Maria of my Soul, leitmotivisch die Höhen und Tiefen von Nestor und Cesar zusammen. „Ein Lied über eine Liebe, soweit entfernt, daß es wehtut; ein Lied über verlorene Freuden, ein Lied über die Jugend, ein Lied über eine Liebe, so ungewiß, daß ein Mann niemals weiß, woran er ist; ein Lied über das Sich -sehnen nach einer Frau, so sehr, daß auch der Tod einen nicht schreckt, ein Lied über die Sehnsucht nach dieser Frau, selbst wenn sie einen verlassen hat.“

„Frau“ darf man hier durchaus synonym für Amerika lesen. Die Vereinigten Staaten sind für die Mambo Kings das gelobte Land. Ein Land, das nicht immer gut zu einem ist, aber das, wenn man es zu nehmen weiß, einem alles gibt, wonach man sich sehnt. Diese Ansicht propagiert zumindest D.D. Vanderbilt in seinem Buch Forward America!, das der schwer melancholische Nestor irgendwann findet und das ihm zu einer Art Bibel wird. Cesar wird dieses Buch später von seinem früh verstorbenen Bruder erben, aber genauso wenig Erfolg im Umsetzen von Vanderbilts Hauruckparolen haben wie sein Bruder. „Auch wenn die Lage noch so schlimm ist, weich nie zurück. Behalte dein Ziel im Auge. Schau nie zurück und marschiere immer vorwärts ... Und denk dran: Nur ein General, der mit seiner Armee vorrückt, gewinnt den Krieg!„ Auch der lebenslustige Sexmaniac Cesar steht am Ende ohne Reichtum und Ruhm da. In einem heruntergekommenen Hotelzimmer rekapituliert er 1980 die Vergangenheit und versucht, mit Hilfe des Alkohols seiner Wehmut Herr zu werden.

Hijuelos läßt Cesar die Geschichte der beiden Brüder in sprunghaften Rückblenden erzählen. Das Buch liest sich denn auch wie das bruchstückhafte Gestammel eines Alkoholikers, mit allen Wiederholungen, Verzerrungen, Anekdoten, Übertreibungen, Ungereimtheiten, die solch ein Puzzle zwangsläufig mit sich bringt. Das Lamento dieses vereinsamten alten Mannes würde man noch hinnehmen, wenn der verklärend-nostalgische Romantizismus wenigstens die Melancholie und Lebensfreude, den Rhythmus und Klang der Musik transportieren könnte, die der eigentliche Protagonist des Buches ist. Aber nichts davon ist - zumindest in der deutschen Übersetzung - in diesem Buch zu finden.

Hijuelos hat eine Fleißarbeit abgeliefert. Er hat mit Sicherheit viel recherchiert, schafft es auch, noch das kleinste Detail authentisch darzustellen („Weg mit ihrem drahtverstärkten BH Marke 'Maidenform‘, Größe 80, Körbchengröße C, weg mit ihrem 'Lady of Paris'-Schlüpfer mit dem gestickten Blumenmuster im Schritt“), aber das Milieu und die Zeit, die er beschreibt, bleiben uninspiriert, das ganze Buch ist seltsam leblos, bloße Behauptung.

„So war sein Leben einige Zeit lang eine Flut von Spitzenhöschen, prallen Hüfthaltern, Hemdchen, Unterröcken, BHs, Strapsen, dicken Parisern, Spülungen mit Backsoda und Coca-Cola, lockigem blonden, roten und schwarzen Schamhaar. Er genoß die Gesellschaft von Negerinnen mit apfelförmigen Hintern, schweißigen Schenkeln und seidengefütterten Döschen, von kräftigen Mulattinnen, die ihn mit ihren Beinen aus dem Bett hoben. Er bumste italienische Schönheiten, die im Mambo Nine Club im Ballett tanzten, und alte Jungfern, die er zwischen den Auftritten auf der Tanzfläche von Ferienhotels in den Catskills kennenlernte...“ Das ist keine Literatur, das sind Lippenbekenntnisse eines Mambo-Machos. Die großen kubanischen Musiker und ihre glorreichste Zeit hätten eine literarisch bessere Hommage verdient. Wer wissen möchte, welche Qualitäten solch ein Buch haben müßte, der sollte zum Beispiel die besten Kurzgeschichten (Ausnahme für Monk, Gicht, Der vierte Mann oder Palo Congo) von Hans Herbst lesen.

Wieso Die Mambo Kings spielen Songs der Liebe mit dem Pulitzer-Preis 1990 ausgezeichnet wurde, wird mir ein Rätsel bleiben. Vielleicht liegt es daran, daß das Buch mit seinem latent reaktionären Grundton immer noch gut in die antikommunistische US-Politik paßt. Hijuelos erweist sich nämlich mit seinem Kommentar über die kubanische Revolution („Die Rose, aus der ein Dorn wuchs“) als vorbildlicher US -Amerikaner: „Doch eine solche Tyrannei, wie Fidel Castro und seine Horden sie entfesseln, haben wir nie gekannt, noch uns je vorzustellen vermocht. Frühere Operettendiktaturen versuchten wenigstens, demokratische Lösungen für ihr moralisches Versagen zu suchen. Ihre Methoden wurden erst diktatorisch durch Provokationen von Kommunisten, die den öffentlichen Frieden störten und unschuldige, dumme und fanatische junge Leute als Kanonenfutter auf die Straße trieben (...) Seit dem 1. Januar 1959 ist aus Kuba ein verarmter Elendsstaat geworden, ohne Ressourcen und ohne Freiheit, und die Aufrichtigkeit und Fröhlichkeit des Kubaners ist einer tragischen Düsternis gewichen. Die Heiterkeit des kubanischen Alltags- und Handelslebens mit seinem Rum und guten Zigarren und seinem Reichtum an Zucker und allem, was vom Zucker kommt, wurde abgeschnürt durch strenge Rationierungen im Namen der sowjetisch-kubanischen Handelsbeziehungen.“

Wolfang Rüger

Oscar Hijuelos: Die Mambo Kings spielen Songs der Liebe. S. Fischer Verlag, 432 Seiten, 39,80 DM