Ein erster Zug an der Friedenspfeife

■ In Montreal bauten Armee und aufständische Mohawk-Indianer gemeinsam eine der Barrikaden ab / Über Straßensperre am Golfplatz von Oka wird weiter verhandelt / Politische Auseinandersetzung hat gerade erst begonnen

Von Rolf Paasch

Mit solchen Bildern hatte die kanadische Öffentlichkeit nach den jüngsten Drohungen der Provinzregierung von Quebec kaum noch gerechnet. Gemeinsam mit der Armee räumten am Mittwoch maskierte, aber nicht mehr bewaffnete Krieger der Mohawk eine ihrer Barrikaden ab, mit denen sie seit neun Wochen gegen die Erweiterung eines Golfplatzes auf von ihnen beanspruchtem Land protestieren. Noch am Dienstag hatte ein Sprecher der mit 4.000 Soldaten angerückten kanadischen Armee gedroht, die Barrieren am Rande Montreals mit Waffengewalt zu stürmen. Und nun gingen die Männer der „Warrior Society“ den Soldaten hilfreich zur Hand.

Diese Aktion auf dem Reservat von Kahnawake war Ergebnis fieberhafter Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern der kanadischen Provinz Quebec und den Mohawks in einem Montrealer Hotel, mit denen nun ein gewaltsames Ende des Konfliktes zwischen den Ureinwohnern und Provinzregierung zumindest vorläufig - verhindert werden konnte. Wütende und teils gewalttätige Proteste von weißen Anwohnern der südlichen Vorstädte Montreals gegen die Behinderung des Pendlerverkehrs hatten die Regierung zum Einsatz von Militär und die Mohawks jetzt zum Nachgeben gezwungen.

Am Golfplatz von Oka dagegen, am Nordufer des durch Montreal fließenden St. Lorenz-Stroms, stehen sich die mit Maschinengewehren bewaffneten 200 Mohawk-Indianer und die zwanzigfach stärkere Armee weiter in kriegerischer Pose gegenüber. Hier hatten die Mohawk-Indianer im Juli die ersten Barrikade errichtet, um gegen die Pläne der Stadtverwaltung zu protestieren, den auf Indianerland gelegenen Golfplatz noch zu erweitern, und dabei einen Ahnenfriedhof zum Parkplatz plattzuwalzen. Bei dem mißglückten Versuch der Provinzpolizei von Quebec, die Barrikade mit Waffengewalt zu stürmen, war am 11.Juli ein Polizist ums Leben gekommen. Nach der Verfassungskrise über den Sonderstatus der französischsprachigen Provinz Quebec hat Kanada nun auch noch einen Konflikt mit seinen Ureinwohnern.

Dabei haben die von den Straßensperren nicht direkt betroffenen Kanadier für die Proteste und Forderungen der Indianer durchaus Verständnis. Kaum einer bestreitet, daß die schändliche Behandlung der nordamerikanischen Ureinwohner besonders seit dem 19.Jahrhundert das wohl dunkelste Kapitel in der Geschichte des Landes darstellt. Zwar war die Unterdrückung der Indianer im weiten Kanada längst nicht so brutal wie in den benachbarten Vereinigten Staaten. Dort jedoch haben die Überlebenden des Genozids in den letzten Jahrzehnten mehr Kompensation und größere politische Unabhängigkeit zugesprochen bekommen als die „native americans“ nördlich der Grenze. Von ihrem Land vertrieben und in enge Reservate gezwängt liegen die Armuts -, Suizid- und Alkoholismusraten der rund 440.000 kanadischen Indianer um das vier- bis siebenfache über dem nationalen Durchschnitt.

All dies ist den meisten Einwohnern des sonst als ausgesprochen liberal geltenden Kanada heute mehr als peinlich. Doch wenn es dann ganz konkret um die Verhandlung von Landansprüchen, um finanzielle Kompensation für vergangenes Unrecht oder die grundsätzliche Anerkennung einer ureingeborenen „Nation“ ging, dann wurde das „Indianerproblem“ in den letzten Jahrzehnten immer wieder ignoriert, verschoben und verdrängt. So auch in dem Golfplatzkonflikt.

Bis zur Blockade von Oka waren die herbeigerufenen „Warriors“ eher durch ihre Kontrolle von Spielkasinos und Zigarettenhandel aufgefallen, die ihnen nach Schätzungen der Polizei seit 1986 Profite von mehr als 100 Millionen Dollar eingebracht haben. Erst vor wenigen Monaten war es in dem Mohawk-Reservat von Akwesasne an der amerikanisch -kanadischen Grenze zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den „Kriegern“ und indianischen Glücksspielgegnern gekommen. Während die radikalen Mohawks auf dem Recht bestehen, aus ihrem Status als staatenlose und nicht steuerzahlungspflichtige Reservatsbewohner wirtschaftliche Vorteile zu ziehen, befürchten die Traditionalisten im Mohawk-Lager negative Auswirkungen dieser Art Busineß auf die Indianergemeinden. Denn die „Krieger“ finanzieren mit ihren Gewinnen aus Glücksspiel und Zigarettenhandel nicht nur indianische Schulen, sondern auch ihre eigene Bewaffnung. „Die 'Warrior Society‘ ist beides zugleich“, versucht John Millroy, Professor für „Native Studies“ an der Universität von Ontario, den Doppelcharakter der Kriegergesellschaft zu beschreiben: „Indianische Institution und Los-Angeles-Street-Gang“.

So umstritten ihre mafia-ähnlichen Aktivitäten in den Reservaten auch sein mögen, als Verteidiger gegen den neuerlichen Angriff auf indianische Rechte waren die „Warriors“ den meisten Indianern in Oka und Kahnawake im Juli erst einmal willkommen. Selbst die moderaten und von der Regierung anerkannten Indianervertretungen der sogenannten „Band Councils“ und die ebenfalls gemäßigte stammesübergreifende „Assembly of First Nations“ (ANF) verteidigten die gewaltsamen Methoden der „Warriors“ als politische Warnschüsse.

So geht es in dem Konflikt von Oka schon längst um mehr, als um die Verhinderung von neun zusätzlichen Löchern eines Golfplatzes auf von Indianern beanspruchtem Land. Die Bereitschaft der Regierung in Ottawa, das Gebiet von der Stadt Oka für 3,8 Millionen kanadische Dollar zu kaufen, um es anschließend an seine Besitzer zurückzugeben, verstanden die Mohawks eher als Beleidigung denn als hilfreiche Geste. Sie fordern eine grundsätzliche Reform des allzu schleppenden Verfahrens zur Regelung von Landansprüchen sowie die Anerkennung der indianischen Nation als gleichwertigen Verhandlungspartner in allen rechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragen.

Frustiert sind die Stämme der Mohawks und Cree, der Micmac, Assiniboine und der Innuit auch über das Scheitern einer Verankerung besonderer indianischer Rechte in der Verfassung Kanadas. Schon bei dem Entwurf dieser Verfassung durch die liberale Regierung Trudeau Anfang der Achtziger fühlten sich die Ureinwohner durch die Annahme einer nichtssagenden Leerformel über ihre Vertragsrechte verraten. Wieder einmal hätten die Indianer damals gegen die an einer ungehinderten wirtschaftlichen Ausbeutung der Rohstoffe interessierten Provinzregierungen den kürzeren gezogen, erklärt der Verfassungsrechtler Steven Scott das systematische Scheitern indianischer Rechtsansprüche.

Als dann in diesem Frühjahr in der Verfassungsreform des sogenannten Meech-Lake-Abkommens dem französischsprachigen Quebec die Anerkennung jener „besonderen Gesellschaft“ innerhalb der kanadischen Föderation gewährt werden sollte, wie sie von den Indianern seit Jahrzehnten vergeblich gefordert wurde, war die Geduld der Ureinwohner endgültig zu Ende. Mit seinem Stimmverhalten verhinderte der indianische Abgeordnete Elijah Harper im Provinzparlament von Manitoba Ende Juni die Ratifizierung des besagten Abkommens und ließ damit die von der konservativen Regierung Mulroney vorgeschlagene Verfassungsreform in letzter Minute platzen. Seitdem wird Harper in Oka und den 2.161 Reservaten als Volksheld und als Symbol für ein neues indianisches Selbstbewußtsein gefeiert.

Und in der Tat stehen die politischen Chancen für eine Anerkennung der indianischen Forderungen noch nie so gut wie nach dem Scheitern der Verfassungsreform. Mit ihren Landansprüchen auf 85% des Territoriums Quebecs könnten die 50.000 Indianer der Provinz dem neuerwachten Unabhängigkeitsstreben der Frankokanadier - sehr zur Freude der anglokanadischen Provinzen - ein sehr schnelles Ende bereiten. Ohne die sich im Bau befindlichen Wasserkraftwerke im gefluteten Land des Cree-Stammes im hohen Norden wäre ein unabhängiges Quebec wirtschaftlich gar nicht überlebensfähig. Bereits eine kleine Indianerguerilla könnte durch eine Sprengung der über 1.000 Kilometer langen Stromleitungen im winterlichen Montreal leicht die Heizung ausgehen lassen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Möglichkeiten blicken die noch friedlichen Indianer von British Columbia gebannt nach Oka.

Kanada, so hatte der englische Lord Durham im Jahr 1867 geschrieben, das seien „zwei kriegerische Nationen, im Busen eines einzigen Staates vereint“. Spätestens seit dem bewaffneten Aufstand der Mohawk-Krieger dürfte allerdings klargeworden sein, daß der englische Edelmann die Zahl der kämpferischen Seelen in Kanadas Brust um eine unterschätzte.