Singhs Quotierung polarisiert Kasten

■ Gewaltsame Proteste gegen Stellenquotierung - Schulen und Universitäten in Delhi geschlossen

Delhi (ips/taz) - Indiens höhere Kasten rüsten zur Behauptung ihrer Abgrenzungspotentiale. Gegen die von der Regierung V.P. Singh beschlossene Reservierung von Arbeitsplätzen im Staatsdienst für die Angehörigen der untersten Kasten, und der Stammesvölker („sceduled tribes“) kam es am Mittwoch in weiten Teilen Nordindiens zu gewaltsamen Protesten. Die Polizei berichtete von mindestens acht Toten und Hunderten von Verletzten. Im Unionsstaat Uttar Pradesh wurden 600 zumeist Studenten verhaftet und Dutzende durch Schlagstockeinsatz der Polizeikräfte verletzt. Busse gingen in Flammen auf, Jugendliche blockierten die Zuggleise und den Straßenverkehr. In Delhi, wo Studenten rund 500 Fahrzeuge demoliert hatten, wurde der Busbetrieb eingestellt.

Nach den seit einer Woche anhaltenden Protesten, bei denen am Montag in Delhi über 10.000 Schüler und Studenten vor das Parlament gezogen waren und sich mit der Polizei Straßenschlachten geliefert hatten, beschloß die Regierung am Mittwoch für 30 Tage den gesamten Schul-, College- und Universitätsbetrieb in der Hauptstadt einzustellen.

Mit der Quotenregelung, die nicht wie bisher 20 Prozent, sondern mehr als die Hälfte der Stellen in Indiens Regierungsbürokratie den Benachteiligten vorbehält, versucht Premier V.P. Singh seinen Sieg bei den nächsten Wahlen abzusichern. Offiziell ist das Kastenwesen zwar seit der Unabhängigkeit abgeschafft. Tatsächlich aber werden die Lebenschancen der Inder nach wie vor von ihrer Zugehörigkeit zu einer der unzähligen Gruppen bestimmt. 3.700 Kasten und Stämme wurden 1980 in einem offiziellen Bericht als „rückständig“ klassifiziert. Sie stellen fast die Hälfte der 830 Millionen Inder, und damit ein Wählerpotential, das bisher keine indische Regierung ausgespart hat.

Auch der als Saubermann angetretene V.P. Singh hat diesen Rückhalt dringend nötig, seit die Spaltung in seiner Partei, der Janata Dal, immer tiefer wird. Erst im Juli sah sich Singh gezwungen seinen Stellvertreter Devi Lal zu feuern. Als Vertreter der mächtigen „Jat-Gemeinschaft der Grundbesitzer“ mobilisierte Lal indes die indischen Bauern und spannte sie zu Hunderttausenden bei einer Protestkundgebung in der Hauptstadt vor seinen politischen Karren.

Mit seinem letzten Streich hat V.P. Singh aber auch liberale Kreise gegen sich aufgebracht, die ansonsten gegen eine Förderung der diskriminierten Gruppen nichts einzuwenden haben: Singh sei mit seinem Kampf um das politische Überleben so weit gegangen, die gesamte Nation entlang der Kastenlinie zu spalten.

Die meisten politischen Parteien forderten hingegen eine Verknüpfung von Kastenangehörigkeit und Wohlstandskriterien bei der Zuteilung der Jobs. Auch die Kommunisten und die fundamentalistische Hindu Partei (BJP), auf deren Unterstützung Singh angewiesen ist, meldeten Kritik an und beschwerten sich darüber, nicht zu Rate gezogen worden zu sein.

Singh sicherte zwar auch Quoten für ärmere Mitglieder höherer Kasten zu. Die zu erwartenden Forderungen aller Kasten könnte aber das gesamte indische Sozialgefüge zum Zusammenbruch bringen. Muslimische Abgeordnete haben bereits Ansprüche angemeldet ihre Glaubensgemeinschaft stelle elf Prozent der Bevölkerung, verfüge aber nicht einmal über drei Prozent aller Regierungsstellen.

sl