Militärforscher sollen „drastisch“ sparen

■ „Friedensgutachten 1990“ warnt vor Überschätzung bisheriger Abrüstungsschritte / START-Verhandlungen „hinter den Erwartungen zurückgeblieben“

Von Andreas Zumach

Genf (taz) - Drei große Friedensforschungsinstitute der Bundesrepublik haben die Bundesregierung „dringend“ dazu aufgefordert, die in den nächsten Jahren von der Bundesregierung für militärische Forschung und Entwicklung vorgesehenen Ausgaben „drastisch“ zu reduzieren. Auch der aktuelle Golfkonflikt ändere „nichts an der Notwendigkeit, die durch das Ende des Ost-West-Konflikts freigewordene Friedensdividende für die Bewältigung der vielfältigen nichtmilitärischen Bedrohungen der Menschheit zu nutzen“, heißt es im gestern vorgelegten „Friedensgutachten 1990“. Das Gutachten wurde gemeinsam verfaßt von der „Hessischen Stiftung für Friedens-und Konfliktforschung“ (HSFK), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (ISFH) sowie der Heidelberger „Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft“ (FEST).

Militärische Großprojekte wie der Jäger 90 seien „sofort einzustellen“, fordern die Institute. Vor allem die Entwicklungskosten für dieses Waffensystem haben zu dem Rekordansatz von 4,1 Milliarden DM für militärische Forschung im Entwurf für den Bundeshaushalt 1991 geführt. Das bedeutet eine Steigerung seit 1982 um 69,7 Prozent. Für zivile Forschung ergibt sich nach den Bonner Ausgabenplanungen für den Zeitraum 1982 bis 1991 nur eine Erhöhung der Mittel um 24,7 Prozent. Durch Reduzierung der militärischen Forschungsausgaben freiwerdende Gelder sollten „für die Lösung der Umwelt- und Entwicklungsländerproblematik“ eingesetzt werden, heißt es in dem Gutachten.

„Trotz aller positiven Entwicklungen zwischen Ost und West“ sehen die FriedensforscherInnen noch eine „erhebliche Liste negativer Trends“. Bisherige Erfolge bei Rüstungsbegrenzung und Abrüstung könnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Rüstungskontrollprozeß „insgesamt noch erhebliche Lücken“ aufweise. Die START-Verhandlungen seien „weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben“. Stattdessen hätten sich „deutsche Unternehmen in vorderster Linie an der Weiterverbreitung von C-Waffen und Nukleartechnologie beteiligt“. Die FriedensforscherInnen kritisieren auch, daß „die umweltzerstörenden Atomtests trotz aller Proteste fortgesetzt werden“. Der „rasante Einigungsprozeß Deutschlands“ werde „zum Experimentierfeld für das Zusammenwachsen des wirtschaftlich und psychologisch noch immer geteilten Europa“, heißt es in dem Friedensgutachten. Das vereinte Deutschland habe die Aufgabe, insbesondere im Rahmen der KSZE „unverzüglich mit der Entwicklung von Strukturen für eine Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa zu beginnen“.

Die im letzten Jahr „weitere drastische Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in den Entwicklungsländern“, die „Verschärfung der globalen Ökologiesituation und andere nichtmilitärische Bedrohungen“ erführen „nicht die notwendige Aufmerksamkeit“, schreiben die FriedensforscherInnen. Sie fordern von der Bundesregierung „verstärkte Bemühungen um internationale Vereinbarungen zur Verhinderung dramatischer Klimaveränderungen durch strenge nationale Gesetze sowie durch Programme für eine drastische Einsparung von Primärenergie“. Gegenüber den „Drittweltländern“ seien ein „Schuldenerlaß in größerem Umfang als bisher“ und „gerechtere“ Wirtschaftsbeziehungen“ notwendig.