DDR 1991: Mehr als 25 Prozent Arbeitslose

■ ifo-Prognose: 1,5 Millionen offiziell ohne Erwerb

Berlin (taz/adn) - Das Münchner ifo-Institut rechnet für den Durchschnitt des kommenden Jahres mit 1,5 Millionen offiziellen Arbeitslosen in der DDR. Dies entspricht etwa 15 Prozent der erwerbsfähigen DDR-Bevölkerung. Gegenüber der taz schätzte Kurt Vogler-Ludwig, der Autor der Studie, die Zahl der verdeckt Arbeitslosen in diesem Zeitraum grob auf etwa eine weitere Million Personen. Zwar seien die Regelungen für das Kurzarbeitsgeld zeitlich begrenzt, doch sie mit ihrer Verlängerung zu rechnen. Damit dürfte die Gesamtarbeitslosigkeit auf dem Territorium der Noch-DDR auf über 25 Prozent steigen. Derzeit gibt es in zwischen neun und zehn Millionen Arbeitskräfte. Für das Jahresende sei mit 700.000 bis 800.000 offiziell Arbeitslosen zu rechnen.

Das „Freisetzungspotential“ in der ostdeutschen Wirtschaft bezifferte Vogler-Ludwig auf 15 Prozent unter den realsozialistischen und 30 Prozent unter den „neuen Produktions- und Absatzbedingungen“. Allerdings beruht die Studie auf einer Befragung von 40 Betrieben und Kombinaten, die im Mai durchgeführt worden war. „Damals war man zu optimistisch“, schätzt der Wissenschaftler. Von den 1,4 Millionen verdeckt Arbeitslosen von Mitte letzten Jahres kämen 800.000 Beschäftigte aus der Warenproduktion, 400.000 aus dem Dienstleistungsbereich und 200.000 aus der Landwirtschaft.

Klaus Grehn, der Vorsitzende des DDR-Arbeitslosenverbandes, schätzt indes, daß derzeit etwa 1,5 Millionen DDR-Bürger, mehr als 18 Prozent, ohne Arbeit sind. So würden als Arbeitslose nur die 350.000 Antragsteller auf Arbeitslosengeld gezählt, nicht aber die eine Million Kurzarbeiter, von denen 90 Prozent in ihrem Betrieb keine Beschäftigung mehr haben. Verschwiegen würden ebenfalls die Zahlen der in den Vorruhestand geschickten Arbeitnehmer.

Vor allem für die Frauen sei der Weg „ins gesellschaftliche Abseits vorprogrammiert“, urteilte Christina Schenk, die Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbandes. Während sie in der DDR umfassend gefördert worden sind, erfolge jetzt ein „Generalangriff auf die Rechte der Frauen“. Nur etwa ein Viertel der wiedereingestellten Arbeitslosen seien Frauen. Ähnlich charakterisierte Ilja Seifert, der Vorsitzende des Behindertenverbandes, die Situation der Behinderten: Der ehemals relativ hohe Beschäftigungsgrad der Behinderten werde „heruntergedrückt“. Alle Anstrengungen, Selbsthilfeprojekte anzuregen, würden durch „überlegungen hinsichtlich der Rentabilität zu ungunsten der Menschen mit Behinderungen bearbeitet“.

diba