Lösung im Schatten der Abtreibungsdebatte

■ Bei den bislang strittigen Punkten im Einigungsvertrag setzten sich die Bundesländer bei der Finanzierungsfrage durch / In der Eigentumsfrage leichte Gewinne für die DDR

Der Streit um die Regelung des Abtreibungsrechts im künftigen Deutschland hat die sonstigen Dissenspunkte um den Einigungsvertrag in den letzten Tagen deutlich in den Hintergrund gedrängt. Die bis dahin von DDR-Seite als existentiell bewerteten Konfliktpunkte der Länderfinanzierung, die Eigentumsfrage, die Zukunft der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sowie die Perspektiven für eine neue gesamtdeutsche Verfassung wurden eher nebenbei abgehandelt. Offensichtlich hat sich die SPD-West in der Frage der Finanzausstattung der ehemaligen DDR-Länder die Bedenken ihrer Schwesterpartei nicht zu eigen gemacht. Eine Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich wird es demnach bis 1995 nicht geben. In dieser Frage zogen die Bundesländer über Parteigrenzen hinweg an einem Strang. Denn angesichts der ökonomischen Schwäche der ehemaligen DDR -Länder hätten auch die ärmeren Bundesländer ausnahmslos zahlen müssen. Nach der jetzigen Regelung im Einigungsvertrag sollen die fünf neuen Länder aus dem 115 Milliarden umfassenden Fond 85 und nicht wie bislang vorgesehen nur 80 Prozent erhalten. Dafür wurde das Stufenmodell für die Umsatzsteuerverteilung in der letzten Verhandlungsrunde noch einmal zuungunsten der DDR verändert. Die Länderfinanzchefs stimmten bei ihrem Treffen mit Kohl einer Regelung zu, derzufolge die DDR-Länder 1991 je Einwohner lediglich 55 Prozent des durchschnittlichen Umsatzsteueranteils je Einwohner der Bundesrepublik erhalten. Der DDR-Anteil soll bis 1994 jährlich um fünf Prozent angehoben werden. Ab 1995 sollen dann die Umsatzsteuerniveaus in allen deutschen Ländern pro Kopf gleich hoch sein.

In der strittigen Eigentumsfrage wurde in der letzten Runde hingegen eine Verbesserung aus DDR-Sicht erzielt. War bisher auf Bonner Drängen die prinzipielle Rückgabe enteigneten Vermögens festgelegt worden, soll jetzt die Entschädigung Vorrang erhalten. Eine Rückübertragung von Grund und Boden an die ehemaligen Eigentümer soll auch dann nicht möglich sein, wenn das betroffene Grundstück für „näher festzulegende Investitionszwecke“ benötigt wird. Investoren können nach dieser Regelung auch dann risikolos in der DDR investieren, wenn die Eigentumsfrage für das betreffende Gelände nicht geklärt ist. Der Staat entschädigt. Die Enteignungen, die bis 1949 aufgrund alliierter Bestimmungen durchgeführt wurden, sollen in Artikel 143 des Grundgesetzes festgeschrieben werden. In der bislang strittigen Frage der Beschäftigten im öffentlichen Dienst der DDR haben sich Bund und Länder auf eine Clearing-Stelle beim Innenministerium geeinigt, die unter anderem auch die absehbaren Entlassungen vornehmen soll. Von den 1,7 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst stehen 650.000 zur Disposition.

Keine Probleme scheint die SPD auch mit den eher unverbindlichen Betimmungen des Einigungsvertrages für eine neue gesamtdeutsche Verfassung zu haben. Zwar wird im neuformulierten Artikel 146 - wie auch in der bisherigen Fassung - die Geltungsdauer des Grundgesetzes auf den Tag festgelegt, „an dem eine neue Verfassung in Kraft tritt“. Doch nähere Bestimmungen ob und wann dies der Fall sein soll fehlen. In der Präambel heißt es, das deutsche Volk, inklusive der neu hinzukommenden Länder, habe sich das Grundgesetz kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt gegeben. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte deutsche Volk. Lediglich für die Erweiterung des Grundgesetzes um neue Staatszielbestimmungen ist dem Gesetzgeber im Einigungsvertrag eine Frist von zwei Jahren gesetzt.

Matthias Geis