Notoperation am Einigungsvertrag

■ Der Streit um die Rechtslage bei Abtreibungen im vereinigten Deutschland führt zu einer zweiten langen Nacht in Bonn / SPD will verhindern, daß nach zwei Jahren automatisch die bundesdeutsche Indikationsregelung in Gesamtdeutschland gilt und drängt auf eine Selbstverpflichtung des zukünftigen Parlaments

Der Poker ums Abtreibungsrecht

Schwer genervt und mit schwarzen Rändern unter den Augen erzählt Herta Däubler-Gmelin von der Verhandlungsrunde mit Bundeskanzler Kohl zum Abtreibungsrecht. Nachts um zwölf hätten die CDU-Vertreter zu einem „faulen Trick“ gegriffen: Sie wollten im Einigungsvertrag mit der DDR eine Grundgesetzänderung festschreiben, die „ein Indiz für die Verfassungswidrigkeit der Fristenlösung“ darstelle. Was ist das nun schon wieder? Wir dachten doch, es gehe darum, ob die Übergangsregelung - § 218 im Westen, Fristenlösung im Osten - nun zwei oder fünf Jahre lang gelten soll. Also: Die SPD-Verfassungsrechtlerin befürchtet, der CDU-Vorschlag verhindere ein Gesetz, nachdem Abtreibungen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten erlaubt sein sollen. Der Grund: ein solches Gesetz werde von den Karlsruher Richtern wahrscheinlich für verfassungswidrig erklärt, wenn im Einigungsvertrag mit der DDR beim Abtreibungsrecht eine Übergangsfrist von zwei Jahren beschlossen wird, bei allen anderen DDR-Gesetzen aber eine Übergangsfrist von fünf Jahren.

Um auf Nummer Sicher zu gehen fordert die SPD nun: eine Übergangsfrist für das Abtreibungsrecht von fünf Jahren. Oder: zwei Jahre und die „Selbstverpflichtung des Gesetzgebers“, bis dahin ein Gesetz ohne Strafandrohung für die Frauen auszuarbeiten. Außerdem soll festgelegt werden, daß bei der Abstimmung über das Abtreibungsrecht im gesamtdeutschen Parlament kein Fraktionszwang herrschen darf. Herta Däubler-Gmelin rechnet damit, daß es dann eine Mehrheit für die Fristenlösung, kombiniert mit dem Recht auf Hilfen und Beratung für schwangere Frauen, geben wird. Bei der nächtlichen Verhandlung im Kanzleramt muß es hochhergegangen sein. Der SPD-Vorsitzende Vogel und der Kanzler hatten sich in der Wolle. Die einzige Frau in der Runde, Herta Däubler-Gmelin, verwies immer wieder darauf, es gehe schließlich um eine ungeheuer wichtige Frage für Millionen von Frauen. Die CDU-Vertreter versuchten das Ganze als „Symbolik“ abzutun. Man sei der SPD bei der Frage des Gerichtsstandes entgegengekommen - eine Frau, die zum Abtreiben nach der Fristenlösung in den Osten fährt, macht sich nicht strafbar - jetzt sei es an den Sozialdemokraten, nachzugeben. Zuvor hatten CDU- und CSU-Abgeordnete auf einer Sondersitzung ihrer Fraktion stundenlang das Für und Wider einer solchen Übergangslösung diskutiert. Rita Süssmuth und Ingrid Roitsch plädierten für ein „besseres Gesetz als die Fristen- oder die Indikationslösung“. Darin müßten auch Rechtsansprüche auf soziale Hilfen und Kindergartenplätze geregelt werden. Durch Strafandrohung seien Schwangerschaftsabbrüche nicht zu verhindern. Das sahen die Hardliner in der Fraktion natürlich ganz anders. Fast alle waren jedoch dafür, eine Übergangsfrist zu akzeptieren. Danach, so der Rechtsaußen Alfred Dregger, würde sowieso automatisch der § 218 bundesweit in Kraft treten. Mit dieser Variante hatten die Sozialdemokraten nicht gerechnet. Am Mittwoch nachmittag verkündete Oskar Lafontaine noch: „Die Union muß jetzt ja oder nein sagen.“ Wenn sie zustimme, daß das Recht des Ortes gelte, an dem die Abtreibung durchgeführt wird, dann gebe es keine weiteren Streitpunkte mehr. Mittwoch abend, nach der Unions-Fraktionssitzung war wieder alles anders. Die Spitzen der Altparteien stritten bis zum Morgengrauen, ein Häuflein Rundfunkjournalisten wartete vor den Toren des Kanzleramtes auf das Ergebnis. Nur den Grünen blieb der ganze Stress erspart: Sie waren garnicht erst eingeladen worden. Um 3 Uhr verkündete ein gestresster Oskar Lafontaine: „Kein Ergebnis.“

Friedrich Bohl, CDU Fraktionsgeschäftsführer, erklärte den verwirrten Journalisten am nächsten Morgen, es sei schon richtig, daß ursprünglich eine Übergangsregelung von fünf Jahren verabredet worden war. Durch das „Umfallen der FDP“ sei jedoch eine neue Situation eingetreten. Jetzt könne die Union nur noch eine Frist von höchstens zwei Jahren akzeptieren.

Fest steht nun wieder einmal, daß nichts feststeht. JuristInnen und PolitikerInnen streiten darüber, was es bedeutet, wenn im Staatsvertrag - wie von der CDU geplant eine Übergangsfrist von maximal zwei Jahren vorgeschrieben wird. Was, wenn es der Union gelingt, die Entscheidung über ein neues Abtreibungsrecht zu verzögern? Dann gilt womöglich doch mit einem Schlag der frauenfeindliche 218 in Gesamtdeutschland. Oder die Union läßt die SPD einfach auflaufen. Herta Däubler-Gmelin bfürchtet: „Wenn wir nicht verabreden, daß ein neues, besseres Gesetz geschaffen werden muß, dann können wir uns abstrampeln und die Konservativen sagen: ohne uns geht garnichts.“

Die Frage ist nun, ob die Sozialdemokraten dem Vereinigungsvertrag ohne eine solche Klausel zustimmen oder ob sie das Abtreibungsrecht zum Knackpunkt machen. Innenminister Schäuble kündigte bereits an, er werde den Vertrag am Freitag so oder so der DDR zur Unterzeichnung vorlegen, die Sozialdemokraten könnten dann im Bundestag dagegen stimmen. Das mag eine leere Drohung sein. In Bonn sind die Nerven aller bis zum Zerreißen gespannt.

Tina Stadlmayer