„Die Betroffenen kommen nicht zu Wort“

■ Rede von Kulturstadträtin Irana Rusta anläßlich eines Pressegesprächs zum Ausstellungsprojekt „Endlichkeit der Freiheit“

DOKUMENTATION

Man braucht die Erinnerung an die Vergangenheit, gerade dann, wenn sie unbequem, quälend oder gar lästig ist. Man braucht diese Erinnerung, um nicht zu verdrängen, sondern um sie wirklich zu überwinden, um sie nicht wiederholen zu müssen. Die nacherlebbare Mauer - das Projekt der „Endlichkeit der Freiheit“ - ist ein Versuch, diese Erinnerung wach zu halten. Die Gesamtheit ihrer Erscheinungsformen wird dargestellt. Noch einmal werden die historischen Hintergründe, die zur Entstehung der Mauer führten, gestaltend aufgezeigt.

Ich finde viele dieser Ideen originell und phantasiereich. Gegen kaum etwas sind Einwände zu erheben, weder ästhetisch noch politisch. Und doch behaupte ich: Das Zeitdokument selbst ist jetzt das eigentliche und wahrscheinlich ausdruckvollere „Kunstwerk“. Für geraume Zeit wird dieses „Kunstwerk“ - die kahle, trostlose und dumm funktionale Mauer beredter sein und wirkungsvoller als jeder aktuelle Gestaltungsversuch die Vorstellung, die Phantasie, die Erinnerung und das Entsetzen auslösen.

Ich denke, daß jetzt speziell zu diesem Thema das Zeitdokument auch im künstlerischen Sinne Trumpf ist. Wir, ich, bemühen uns - unter Überwindung von Hindernissen, die durch die nicht überwundene Mauer im Kopf bedingt sind intensiv darum, einen Mauerabschnitt als Mahnmal der Nachwelt zu erhalten. Nach längeren Diskussionen lehnten wir die Gestaltung eines Mahnmals ab. Die Bewahrung von Authentizität war aus unserer Sicht der einzige Weg, um einer Verfälschung zu entgehen. Ästhetisierung, Installierung von Kunstwerken und Performanves würde jetzt aus meiner Sicht zumindest tendenziell (denn Kunst hat immer auch mit Lust und Genuß zu tun) diese Stätte des Terrors, des Horrors und der ideologischen Perversion, verharmlosen.

Und noch eines, was der verarmten Kommunalpolitikerin aus Ost-Berlin unter den Nägeln brennt: Die finanziellen Mittel, die für dieses Projekt zur Verfügung gestellt wurden, würden den Bedarf für die Bewahrung von Mauerabschnitten als Dokument der Geschichte und Mahnmal für die Nachwelt zur Zeit in voller Höhe abdecken. Die Kosten dieses Projektes stellen eine Summe dar, die mir für sämtliche Ostberliner Projekte dieses historischen Jahres (mir liegen zur Zeit ungefähr 100 vor) zur Verfügung gestellt werden konnte. Unter diesen Projekten sind etliche, die originell, phantasiereich und politisch bedeutsam sind.

Die Einbeziehung nur eines Berliner Künstlers muß ich als Feigenblatt qualifizieren und mein Bedauern darüber aussprechen, daß die direkt und unmittelbar Betroffenen hier nicht zu Worte kommen können. Denn wer, wenn nicht sie, haben das Recht, in solche Aktionen einbezogen zu werden?

Berlin, den 31.8. 1990