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Berlin - „Die Endlichkeit der Freiheit“

■ Ost/West-Ausstellungsprojekt mit Empfang im Stadtbad Prenzlauer Berg eröffnet / Streit zwischen Martiny und Rusta um Sinn und Unsinn des 1,5 Millionen Kunstspektakels / 21 Installationen zieren bis zum 7. Oktober die beiden Teile der Stadt

Berlin. Mit einem Empfang des Regierenden im ehemaligen Stadtbad Prenzlauer Berg, wurde gestern Abend das Ost/West -Ausstellungsprojekt Die Endlichkeit der Freiheit eröffnet. Bis zum 7. Oktober stellen an 17 Stellen in beiden Teilen der Stadt 11 KünstlerInnen ihren Blick auf die jüngere und jüngste deutsche Geschichte zur Schau. Ein Blick, der meist ein Spiel mit dem Horror oder der Patina der zerfallenen Gesellschaftsysteme bleibt. Nach einer Idee von Heiner Müller, Rebecca Horn und Jannis Kounellis wurde unter der Trägerschaft des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) das Projekt von der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten mit 1,5 Millionen DM finanziert.

Bei einer Pressekonferenz im noch zerstörten Preußischen Landtag kam es gestern zu einem Schlagabtausch zwischen Ost -Berlins Kulturstadträtin Rusta, einer Kritikerin des Projekts, und ihrer Westberliner Kollegin Martiny. Während Frau Martiny, unterstützt vom DDR-Kunsthistoriker Christoph Tannert, den missionarischen Wert der Ausstellung für die Bevölkerung der Berliner Ostgebiete betonte und sich zur kulturpolitischen Märtyrerin stilisierte („Ich habe dieses Projekt politisch gewollt und ich muß mich dafür politisch prügeln lassen“), verwies Frau Rusta auf die leeren Kassen der Ostberliner Kulturbehörden (siehe Dokumentation S.31). Wulf Herzogenrath von der Nationalgalerie (West), der die Realisierung der Ausstellung leitete, beteuerte, daß es ihm und seinen Kollegen vor allem um die „Internationalität“ der Kunstangebote in der künftigen Metropole ginge und unterstützte damit seine Senatorin, die ihre Rede mit der Bemerkung „Wir haben schließlich nicht nur dafür zu sorgen, daß die Untergrundbahnen wieder funktionieren, der Müll beseitigt wird und die Tarife der Krankenschwestern angeglichen werden“, ausklingen ließ. Bei der anschließenden Stadtrundfahrt versuchte der Neuberliner Herzogenrath die vor allem in der City verstreuten Kunstobjekte historisch und topografisch einzubetten. Obwohl Herzogenrath dabei nicht mit Superlativen geizte, werden nur wenige Arbeiten dem postulierten Anspruch gerecht.

Jannis Kounellis, der teuerste unter den beteiligten Künstlern, zog sich in das ruinöse Ambiente des ehemaligen Elektrizitätswerks in der Otto-Grotewohl-Straße zurück. Hans Haacke rekonstruierte an der Alten Jacobstraße einen Grenzturm und Raphael Reinsberg rollte jeweils 50 Kabeltrommeln Ost und 50 West auf den Grenzstreifen vor dem Martin-Gropius-Bau. Mario Merz, Giovanni Anselmo, Barbara Bloom, Krzystof Wodiczko, Christian Boltanski, Ilya Kabakov und Via Lewandowsky erfüllten die Auflage der Initiatoren und teilten ihr Werk auch formal in einen Ost- und einen West-Part. Während alle anderen Arbeiten in den nächsten Tagen ohne Einschränkungen zu besichtigen sind, werden die Projektionen des Polen Wodiczko nur an jeweils zwei Abenden realisiert: Heute und am 3. September werden durch Dia -Projektion das Ostberliner Leninmonument und am 2. und 4. September das Hut-Haus am Potsdamer Platz, jeweils um 21 Uhr, in neue Zusammenhänge gesetzt.

Alle Werke sind ausführlich beschildert und 30.000 Faltblätter sollen den zeitaufwendigen Gang zwischen den Stationen der Endlichkeit der Freiheit erleichtern.

Andre Meier

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