piwik no script img

Die Crux der Aufklärung

■ Zu zwei ZDF-Sendungen am Do., 30.8., 21 bzw. 22.10 Uhr

Das Einklagen des Bildungsauftrages gehört zur argumentativen Grundausstattung jeder vernünftigen Fernsehkritik. Wie aber eine Sendung rezensieren, der der Aufklärungsanspruch im Halse stecken bleibt wie ein Kloß?

Fangen wir bei der ersten Sendung, Deutsche Jugend, bestes Streben? an. Drei Gymnasiasten aus West-Berlin werden porträtiert, sie sind intelligent, reflektiert und interessiert, das sind die Guten. Zwei Jugendliche aus dem Osten, aus der Noch-DDR - ohne Schulbildung? -, das sind die Schlechten. Denn denen quellen die neonazistischen Parolen nur so aus dem Mund. Skins, rechtsradikal, ist doch klar! Dann Hanna Renata Laurien, ehemalige Schulsenatorin in Berlin, die den Zusammenhang von Geschichte und Gegenwart beschwört, und eine Lehrerin, die zu Recht froh ist, daß ihre Schüler bei einem Besuch im KZ Majdanek selbst die Lehren ziehen, die sie ansonsten lehren sollte. Dazwischen großes Indianerehrenwort - der Moderator aus dem Off, der durchaus intelligente Fragen stellt und dadurch (unfreiwillig?) die Begrenztheit der Einteilung in Gut und Böse offenbart. Denn weder kann der eine, der a priori auf der Seite der Unterdrückten steht, sich vorstellen, zu den Unterdrückern zu gehören, noch der angebliche Unterdrücker, daß er selbst einmal zur Minderheit gehöre, die man unterdrückt.

Langsam werde ich unruhig, denn noch immer weiß ich nicht, worum es geht. Auch die Antwort der Lehrerin: „Die Täter sind Menschen wie ich und du“, bringt keine Klärung. Als dann auch noch die Abmoderation das Bild von den zwei Gruppen - den Guten und den Schlechten - beschwört, wo ich doch immer gedacht hatte, daß es gerade um Differenzierung ginge, bin ich gänzlich verzweifelt.

Gezwungen, den zweiten Teil anzuschauen - Mit uns ist kein Staat zu machen -, der endgültig Klärung über das Thema der Sendung bringen soll. Und Gottlob geht es hier zu wie im richtigen Leben, sprich wie in einer richtigen Talkshow: Sechs Jugendliche, ein Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels und ein Moderator diskutieren wild und quer. Über Mehrheitsdemokratie, Gruppensolidarität und Gruppenzwänge, Todesstrafe und Abtreibung. Und dann sagt eine den entscheidenden Satz, daß sie selbst früher rechts und gegen Ausländer gewesen sei, seitdem sie aber eine Zeit in Amerika selbst Ausländerin war, sie ihre Meinung jetzt geändert habe. Ich denke, das isses. Da keiner nachhakt, auch der Moderator nicht, war es das wohl aber doch nicht, und ich gehe ins Bett und weiß noch immer nicht, um welches Thema es den ganzen Abend gegangen ist.

Fazit: Beim nächsten Mal schaue ich mir doch lieber wieder eine Unterhaltungssendung an, da kann ich dann den Bildungsauftrag einklagen, und alles ist paletti.

Karl-Heinz Stamm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen