Die „Singerica“ oder: Wie emanzipatorisch ist Nähen?

■ In vielen Beratungsstellen für ausländische Frauen werden Nähkurse - meist in Verbindung mit Deutschunterricht - angeboten. Vor einiger Zeit zettelten Mitarbeiterinnen solcher „Frauenläden“ in West-Berlin eine kritische Diskussion über den emanzipatorischen (Un)Sinn dieser Kurse an

Von Mira Renka

In der Köpenicker Straße in Berlin-Kreuzberg ist die Aufschrift „Singer“ seit kurzem verschwunden. Heute bin ich dort vorbeigegangen, um mich zu erinnern. Singer - ein gutes Stück meiner Kindheit. Ich hätte nicht gedacht, daß ich mehr als 30 Jahre danach, mehr als 1.200 Kilometer entfernt, tiefer und emotionaler, als es mir lieb ist, mich mit wirren und doch verständlichen Assoziationen, sozusagen im Doppelsteppzickzackschritt, damit herumplagen würde, ob mein Verhältnis zu den „Dürrkops“, „Pfaffs“, „Koch-Adlers“, „Strobels“, „Rimaldis“, „Busche-Minervas“ pathologisch oder emanzipatorisch gesund ist. Und nur deshalb, weil ich „spontan“ überzeugend und nebenbei flapsig geäußert habe, die Nähkurse gehörten nicht in die sogenannten Frauenläden.

Patriarchale Präventivmaßnahme

Seit Tagen tue ich mir das an: Ich lese, suche, denke nach, rede mit den Leuten darüber, was es damit auf sich hat, Nähkurse im heutigen Zeitalter an die Frau zu bringen. An die Frau? Nein, so allgemein doch nicht - an die ausländische Frau. Ich möchte gegen die Nähkurse und für die ausländischen Frauen plädieren.

Wie gesagt, meine Vergangenheit ist voll von Nähmaschinen, obwohl ich selbst in den vergangenen Jahrzehnten gerade drei Kopfkissenbezüge und einen Deckenüberzug gefertigt, ein paar Löcher repariert und einige Aufhänger angenäht habe. Nähen kann ich. In meiner Familie zwar am schlechtesten von allen, aber ich kann es. Wenn frau als Kind in den 50er Jahren im nordwestlichen Teil Jugoslawiens gelebt hat, so kann sie sich an die Nähkurse erinnern, die in jedem Kaff durchgeführt wurden - deklariert als sozialistische frauenemanzipatorische Errungenschaft (des Befreiungskrieges wohl).

Im Nachhinein stellt sich das als gelungene patriarchalische Präventivmaßnahme heraus: Die Gewehre her, liebe Kampfgenossinnen, hier habt ihr als Ersatz die Nähmaschinen. Wenn wir die Zahl der Machtinhaberinnen und der Spitzenfunktionärinnen der heutigen Tage ermitteln, sehen wir diese Politik bestätigt. Damals habe ich meine älteren Schwestern beneidet. Sie kamen mit Schnittmustern und Schablonen nach Hause, aus braunem Packpapier, hatten Schneiderkreide (weich und fein), die ich ab und zu benutzen durfte, um auf den Stoffresten zu zeichnen. Und heute noch haben wir zu Hause die Fingerhüte, Nähnadeln, Knöpfe, Textilienreste aus jener Zeit. Wir sind ein konservierungsorientierter Haushalt.

Alle unsere Mütter haben damals genäht, und als aus Amerika die Pakete mit Kleidern - scheußlich von der Form her, aber gut in der Qualität - ankamen, haben wir eigene Modelle entworfen, die die Mütter dann auf den Nähmaschinen realisierten. „English-Bluse“ für den Skisport aus guter Seide, Hose für den Sommer aus altem Trenchcoat, und ich könnte mir heute noch in den A... beißen, weil ich mir daraus eine schöne „Trapez-Hose“ habe nähen lassen, die dann nach zwei Jahren umgenäht werden mußte, weil Trapez von enganliegenden Hosen abgelöst wurde.

Gut, unsere sozialistischen Warenläden waren nie besonders voll, so daß wir durchaus mit unserer Kreativität und Phantasie rechnen mußten (und konnten), wenn wir einigermaßen anständig angezogen sein wollten. Und jede Frau hat sich bereits vor der glücklichen Ehe eine Nähmaschine gekauft, meine Mutter auch, und die Mütter meiner Freundinnen ebenso.

Die Nähmaschine hieß liebevoll „Singerica“, was gleichzeitig die Deminutivform und die feminisierte Form von „Singer“ war. „Singerica“ war jede Nähmaschine. Wir hatten eine, die keine „Singerica“ war - „Vigor“ hieß sie. Wir haben sie nicht „Vigorica“ genannt; sie blieb „Vigor“, männlich und immer funktionierend. Auch heute noch. Nachmittags oder nachts, als alle anderen Arbeiten erledigt waren und die Familie schlief, nähte unsere Mutter. Und ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, weil es Arbeit war, die da verrichtet wurde, von ihr alleine und ohne Hilfe. Der Vater konnte mit seinen Freunden zusammensein, sich unterhalten, Zeitung lesen oder sonstwas machen. Die Mütter hatten für solchen Luxus einfach keine Zeit. Ich dachte, hätte sie es besser nie gelernt! Aber praktisch war es doch.

Illegale Ausländerinnen in den Nähateliers

Unsere Nachbarin war gelernte Schneiderin, sie war anders als die Frauen aus dem Dorf. Sie war Fremde und zudem eine Selbständige, die alles selbst bestimmen konnte: die Zeit, den Arbeitsumfang, die Preise. Sie war gut angezogen, gepflegt, und hatte keine Schwierigkeiten mit der Umwelt, obwohl sie einen schlechten Ruf hatte, weil sie angeblich alle „besseren“ Männer für die eigene Gesellschaft beanspruchte. Wir wußten immer, wann der Dorfarzt sie besucht hatte, wegen seines Deutschen Schäferhundes nämlich, der vor der Tür auf der Treppe zwischen unseren Häusern lag.

Alle haben sich gewundert, als sie eines Tages samt Gatten und Kind nach Paris ausgewandert ist. Erst hieß es, sie habe in einem Schneideratelier gearbeitet, dann wurde erzählt, sie habe selbst eines geführt.

Ob es das ist? „Das Atelier befindet sich in einer Wohnung von 68 Quadratmetern... In der Küche gibt es Kaffee, Cornflakes, Brot und kalten Braten. Kochen erfordert viel Zeit... In einem Raum von sechs mal drei Metern stehen sieben Nähmaschinen. Das ist das Atelier. Eine der Maschinennäherinnen ist ständig da (sie schläft auch dort), sie ist schon seit über sieben Jahren illegal in Frankreich. Wenn es Arbeit gibt, werden sechs weitere Maschinennäherinnen angestellt, eine Büglerin kommt am Abend nach der Vollzeitarbeit in einem anderen Atelier... Alle Arbeiterinnen sind Jugoslawinnen, die Büglerin ist eine junge Türkin...„(1)

Spätestens seitdem Mirjana Morokvasic ihre Untersuchung über jugoslawische Frauen in der Emigration veröffentlicht hat, beneide ich meine Exnachbarin nicht mehr. Und die Nähmaschine ist noch weniger ein positives Objekt als in meiner Kindheit.

Die „Singerica“... Ich suche sie überall. Ich fahre zur Bremer Frauenwoche, sagte ich zu Mirjana Morokvasic. Du bist auch da. Ich werde etwas über die Nähkurse in den sogenannten Frauenläden sagen müssen, sagte ich, weil ich dagegen bin. Ob du als Wissenschaftlerin für meine praxisbezogenen Hypothesen einen Beweis hast? Etwas habe ich auf jeden Fall. Du mußt in das Museum für Verkehr und Technik gehen, sagte Morokvasic. Ich ging. Wie in der guten Stube des vergangenen Jahrhunderts standen sie da, einige an der Zahl, samt schöner alter Stühle. Ich habe mich an eine gesetzt und wurde nachdenklich. Alles roch nach Wärme, nach Stoffen, nach Kindheit. An Industrie erinnerten nur die Texte an den Wänden, schließlich konnte man nicht die Fabrikhalle ins Museum bringen, oder? Was hat nun die „Singerica“ den Frauen gebracht in den vergangenen 120 Jahren?

„Die entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Näherei, Hutmacherei usw. gleichmäßig ergriff, ist - die Nähmaschine...„(2) Ich kann mich an die Stelle im Buch nicht erinnern, obwohl wir damals den Band I des Kapitals fünf Semester lang „studiert“ haben. Ich werde nachlesen zu Hause, er hat bestimmt auch etwas über die Frauen an den Nähmaschinen gesagt, was diese Maschinen mit den Frauen angestellt haben.

An der Wand, ohne Quellenangabe, an einer Schrifttafel in großen Buchstaben steht folgender Text: „Die Nähmaschine konnte weder Haushalt, Werkstatt oder Fabrik eindeutig zugeordnet werden. Deshalb war sie als erster industrieller Massenartikel besonders gut geeignet. Ihre Herstellung in Serienfertigung ist von der Absatzstrategie (Preis, Ratenzahlung, Reparaturnetz) nicht zu trennen. Die kleine Maschine paßte sich den Bedingungen an, unter denen Frauen Kleidung herstellten: als unbezahlte Hausarbeit, als Heimarbeit, in der Werkstatt des Zwischenmeisters, in der Fabrik. Entwickelt neben andern von Elias Howe (1845), war die Nähmaschine in den USA bereits ein Massenartikel, als die Produktion ab 1860 in Deutschland begann (zum Beispiel 1862 bei Opel). Singer blieb jedoch der größte Nähmaschinenhersteller auf dem Weltmarkt.„

Meine Singerica, die Welt beherrschend: Nähmaschinenverkäufe Singer Manufacturing Co., New York 1872: 219.738 Stück, 1879 dann 431.176 und zwei Jahre später 561.306. Von 1872 bis 1881 stieg der Absatz auf 3.376.355 Stück oder mehr als ein Drittel sämtlicher in Amerika fabrizierter Maschinen. Wir spricht sich der Name Singer auf amerikanisch aus? Isaac Singer, er war der Erste. Ob seine Frau nähen konnte? In Heimarbeit, Hausarbeit, Fabrikarbeit, stundenlang an der Maschine sitzend, die überwiegende Zeit mit ihr verbringend? Konnte sie sich selbst eine leisten? Auf Ratenzahlung eventuell, dann war sie doppelt so teuer, als wenn sie bar bezahlt hätte.

Arbeitsfreie Idylle in der Kleinbürgerfamilie

„Die Nähmaschine der Mutter als Wohnzimmermöbel am hellen Erkerplatz war eine gängige Erscheinung, verdienten doch die Kleinbürgerfrauen häufig als Heimarbeiterinnen ihr Teil zum Familienunterhalt dazu... So verlief... das weibliche Leben hinter den verschlossenen Türen des bürgerlichen Wohnzimmers. Berufliche Aktivitäten seien hier als versteckte Erwerbstätigkeit erwähnt, mit der diese Frauen ein wenig Selbständigkeit und materielle Beweglichkeit erlangen wollten. Wenn sie sich auch nicht offen zur Berufstätigkeit bekannten - das verbot ihre kleinbürgerliche Moral - so war ihnen doch die Arbeit vertraut und erfüllte ihre Lebenswelt - im Gegensatz zu ihren großbürgerlichen Geschlechtsgenossinnen.

Dieser Tendenz folgte auch die Werbung für den Ankauf einer Nähmaschine. Das Berliner Frauenmagazin Bazar unterstützte 1862 das Selbstbild von der arbeitsfreien Idylle des bürgerlichen Familienlebens, indem es schreibt: Wer könnte also leugnen, daß durch die Einführung der Nähmaschine in die Familie das Problem selbst gelöst ist, die Arbeit nicht als drückende Last, sondern als spielenden Zeitvertreib und Vergnügen erscheinen zu lassen.“ (3)

Also, Frau Singer hat nicht genäht, in keiner der erwähnten Weisen, und wenn sie in ihrem Wohnzimmer eine Nähmaschine stehen hatte, dann aus ganz anderen Gründen. Ob ich an der anderen Wand etwas für die Maschine Sprechendes (aus der Sicht derer, die an ihnen gesessen haben und immer noch sitzen!) finde? „Die Mutter einer vielköpfigen Kinderschar, die, in einem einfenstrigen Berliner Zimmer zusammengedrängt, schlief, schrie, spielte, arbeitete und krank lag, meinte: Gegen die Unruhe und Unordnung in ihrem Haushalte sei ihr die ruhige, gleichmäßige Tätigkeit in der Fabrik, in der sie eine Weile beschäftigt war, eine wahre Erholung gewesen, sie habe sich oft kaum entschließen können, heimzukehren. Aber der Säugling sei von den Geschwistern immer überfüttert worden und dauernd elend gewesen, da habe sie die auswärtige Arbeit aufgeben müssen. Jetzt näht sie Blusen zu Hause und verdient bei ungleich längerer Arbeitszeit nur viel weniger.

Dabei wird sie innerlich hin- und hergezerrt zwischen dem Wunsch, das Nötige zu erwerben und dem Verlangen, für die Kinder zu sorgen, deren Bedürfnisse ihr jetzt immer vor Augen treten. Gereizt über jede Unterbrechung der Arbeit und andererseits von dem Zustand gepeinigt, in dem sie beim Aufblicken von der Maschine die Kinder und die Häuslichkeit sieht - immer genötigt, eine Pflicht über die andern zu vernachlässigen - so wird das Leben zu einem so aufreibenden Vielerlei, daß ich immer morgens denke, du kannst nicht aufstehen und einen solchen Tag wieder beginnen.“ (4)

Hier werde ich nichts finden, was meine Abneigung mildern könnte. Vielleicht suche ich auch nur die Bestätigung für meine ablehnende Haltung. Aber ich gebe es nicht auf. Die Bibliotheken sind voll. Warum bewege ich mich eigentlich ständig im vergangenen Jahrhundert? Weil sie damals erfunden wurde, oder weil ich meine, daß seit dieser Zeit sich nichts daran geändert hat? Schließlich geht es um ganz was anders! Also ich sehe unsere Frauen, unsere Besucherinnen, wie sie nach der Arbeit in die „Läden“ kommen, müde, weil sie acht Stunden irgendwo geputzt oder am Band gestanden haben. Danach haben sie eingekauft, für die Familie gekocht, die Wohnung in Ordnung gebracht, die Wäsche gewaschen und gebügelt... Und dann setzen sie sich, in guter Gesellschaft mit genauso müden Geschlechtsgenossinnen an die Nähmachine... rataratarata... Unterhalten können sie sich dabei nur bedingt, wenn die Nähmaschinen gerade stillstehen, oder wenn nur eine zur Verfügung steht.

Aber was rede ich da, sie können schließlich nicht zum Kartenspielen kommen, oder eventuell zum Schach oder sonstwas Nutzloses anstellen. Gibt es überhaupt etwas, was einer Frau Spaß macht und nutzlos ist? Ich denke an unsere Besucherinnen. Das Spaßmachende an einer Sache kann doch nur als etwas Nützliches betrachtet oder empfunden werden?

Ich bin gegen die Nähkurse, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß ein Gegenstand, der den Frauen nie die schönen Stunden beschert hat, 120 Jahre nach seiner Erfindung ein Gegenstand mit emanzipatorischen Zügen und Charakteristiken sein kann, also auch in unseren Diensten keine emanzipatorische Wirkung haben kann. (Es sei denn, sie läßt andere Frauen an der Maschine für sich arbeiten, dann kann sie unter Umständen reich werden.) Dieser Gegenstand kann nur ein Arbeitsinstrument oder ein Vorwand sein. Und wenn er für die ausländischen Frauen zum Vorwand geworden ist, dann wird uns dieser die nächsten 120 Jahre mit Sicherheit versauen.

Von Emanzipation

keine Spur

Die „Singerica“, was hat sie bewirkt? Daß Frauen in der Bekleidungsindustrie fast überall auf der untersten Stufe der Lohnskala stehen. Daß Hemden bei Bilka für fünf DM zu kaufen sind. Oft frage ich mich: Was ist nur aus den vielen handgestrickten Pullovern, den unzähligen selbstgenähten Kleidern geworden? Wenn ich mir die Frauen auf unseren Kreuzberger Bänken anschaue - alle in Fabrikklamotten. Ich sagte zu meinen Landsfrauen, ich werde euch zehn Nähmaschinen kaufen, wenn sie euch einander näherbringen können. Ich sagte, Ihr müßt zehn sein, dann geht die Sache in Ordnung.

Es haben sich nie zehn gefunden. Unzufrieden bin ich nicht, die Maschinen wurden nicht angeschafft. Auch unser Versuch mit der Strickmaschine ist gescheitert. Ich sagte, den ersten Pullover will ich haben, für den zahle ich 100 Prozent über Preis. Ich habe den Pullover nicht, die Strickmaschine habe ich inzwischen weggebracht.

„So sollt sie lernen werken und nähen und auch spinnen und durch der Hände Arbeit ihr eigen Brot verdienen.“ (5) Alles Geschichte. Und die Gegenwart? „Für die Ausübung des Schneiderberufes sind dienlich: Genauigkeit, Handgeschick, Formsinn, Sinn für Farben, freundliches Auftreten, Kontaktgeschick und eine gesunde Wirbelsäule“. (6) Dies ist unser Jahrhundert, 80er Jahre! Eigentlich alles Charakteristika, die „unsere“ Frauen vorweisen.

Ich suche immer noch, ich suche das Emanzipatorische an der Nähmaschine. Frauenbewegung: Was finde ich da? Eventuell bei Rosa Luxemburg? Nichts, bei ihr nichts und bei den anderen auch nichts. In der Geschichte habe ich jedenfalls nichts Positives gefunden. Welches Frauenbild steckt also hinter unseren Ansätzen für die Arbeit mit ausländischen Frauen? Es kann doch nicht sein, daß wir nostalgisch geworden sind, nur weil unsere Mütter genäht haben? Und wenn schon, warum sollen es gerade diese Frauen, für die wir uns so schöne und „vernünftige“ Sachen ausgedacht haben, auch tun? Weil wir als Frauen schön zu sein haben? Für wen? Von mir aus sollen sie alle schön werden, aber dazu brauchen sie unsere „Konzepte“ nicht, dazu brauchen sie unsere „Läden“ nicht.

Wir nähen in unseren „Läden„oasen mit unseren ausländischen Frauen, zur gleichen Zeit macht sich vor der Tür etwas breit, was wir noch nicht wahrnehmen, aber nicht zu bremsen sein wird. Ich sitze im Ausländerausschuß des Westberliner Abgeordnetenhauses und höre mir folgendes an: Es kann nicht angehen, daß das Wahlrecht ein Recht sein muß, das die von ihm Betroffene mitentscheiden läßt, schließlich sind zum Beispiel die Hunde von der Hundesteuer betroffen und können nicht mitentscheiden.

Ob ich solange nähen soll, bis auch die Hunde wählen dürfen? Ich kann es nicht. Die anderen mögen es tun, ich bitte sie aber, sie sollen ihr Treiben als Handarbeitszirkel deklarieren und nicht als Emanzipation. Ein Bekannter aus Jugoslawien erzählte mir kürzlich, in jugoslawischen Klapsmühlen seien die Fabrikschneiderinnen überrepräsentiert, stellten die größte Berufsgruppe unter den psychisch Kranken. Im Namen dieser verrückt gewordenen Landsfrauen: Ich habe die Nähkurse für ausländische Frauen nicht gerne.

Mira Renka ist Mitautorin des Buches „Zwischen Alltagsfrust und Größenwahn. Probleme der Sozialarbeit in Projekten für ausländische Frauen“, erschienen im Deutschen Studienverlag, Weinheim 1990

(1) Mirjana Morokvasic: Jugoslawische Frauen, Emigration und danach, Basel/Frankfurt a.M., 1987

(2) Karl Marx: Das Kapital, Bd. I (MEW Bd. 23), Berlin 1977

(3) Ingeborg Weber-Kellermann: Frauenleben im XIX. Jahrhundert, München 1983

(4) Gertrud Dyrenfurth: Die hausindustriellen Arbeiterinnen in der Berliner Blusen-, Unterrock-, Schürzen-, und Trikotagenkonfektion, Leipzig 1898

(5) Dohmen/Wolf-Graaf: Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit, Weinheim, Basel 1983

(6) Horst Ziefuß: Vom Handwerk zur Industriearbeit, Wetzlar 1987

Lektüreempfehlung: Karin Hausen, Technischer Fortschritt und Frauenarbeit im XIX. Jahrhundert, Zur Sozialgeschichte der Nähmaschine, Geschichte und Gesellschaft, Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, 4.Jahrgang, Heft 2