Von Holland nach Thüringen

■ Die Grünen und die verpaßten Chancen in der Diskussion um den Paragraph 218

A la bonne heure, Mesdames! Die Dramaturgie war brillant. Herta Däubler-Gmelin und der frauenbewegte Oskar kämpfen bis zum Äußersten für die Rechte der Frauen im Einigungsstaatsvertrag. Nacht für Nacht übermittelten gespannte JournalistInnen neuestes vom Tatort Bundeskanzleramt. Frau könnte meinen, XY-Zimmermann sei der neue PR Berater der SPD geworden. Heroisch natürlich auch die Damen der FDP, die, ach, wie schwer hat es frau doch in den Parteien, unsere Interessen letztlich mannhaft gerettet haben.

Oder ist das etwa nichts? Der Tatort BRD/DDR ist als gesamtdeutscher gerettet. Frau darf nun statt nach Holland auch ins landschaftlich so reizvolle Erzgebirge zum Schwangerschaftsabbruch fahren. Wo waren die Grünen in dieser Auseinandersetzung? Wie konnten sie es durchgehen lassen, daß diese vergleichsweise Nichtigkeiten zum Dollpunkt der Auseinandersetzung wurden, statt FDP und SPD dahin zu treiben, was sie ihrer Programmatik nach als Mindestes hätten durchsetzen müssen, nämlich die Übernahme der DDR-Abtreibungsregelung für eine Übergangszeit auch für die BRD.

Die Grünen schauten bei diesem Spielchen zu und zogen sich auf die Betonung ihrer Forderung nach ersatzloser Streichung des § 218 zurück.

Diese Forderung bleibt richtig. Wir sollten auch weiter für ihre gesellschaftliche Durchsetzung kämpfen. Aber Politikmachen heißt Eingreifen. Und Eingreifen hätte bedeutet, wenigstens die anderen Parteien bei ihren eigenen Forderungen zu packen und sie zu zwingen, Farbe zu bekennen. Es gäbe eine FDP/SPD/Grüne-Mehrheit für eine Fristenlösung als ersten Schritt. Und sage niemand, das sei keine Verbesserung für die Frauen.

Die vornehme Zurückhaltung der Grünen, das Bekenntnis, man werde sich einer Verbesserung nicht in den Weg stellen, aber kürzergreifende Lösungen als die ersatzlose Streichung seien nicht unsere Aufgabe, haben die anderen billig davonkommen lassen. Dieses Versagen ist ein Lehrbeispiel dafür, daß das alleinige Beharren auf der Richtigkeit der eigenen Position die Chance zu Veränderungen vorbeigehen läßt.

Nun geht es in die nächste Runde. Der Einigungsvertrag legt fest, daß in den kommenden zwei Jahren eine Neuregelung für beide Staatsgebiete gefunden werden soll. Göttin hilf, daß die Grünen in dieser Auseinandersetzung dann auch auf der politischen Bühne agieren werden, statt nur vor ihr zu proklamieren.

Marieluise Beck-Oberdorf

Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete der Grünen