Auftritt der PDS-Spitzenkandidaten

■ Die PDS richtet sich auf eine lange Oppositionszeit ein Realistische Einschätzung der Wahlchancen

Aus Berlin Christian Semler

Zwar hatte Altmeister Marx, der auf den Staat sowieso nicht gut zu sprechen war, für das sozialistische Gemeinwesen strikte Denzentralisation und Kommunalisierung gefordert. Die SED aber als später Nachfahre der jakobinischen Tradition liquidierte nicht nur die Selbstverwaltung der Kommunen, sondern ersetzte auch die alten Länder durch Bezirke. Nun wird zwar nicht Preußen wiederauferstehen (in seinen Lastern lebte es sowieso fort), wohl aber die Länder des alten Reiches bis zur Oder-Grenze. Auf einer Veranstaltung der PDS am Donnerstag, wo die Spitzenkandidaten für Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen präsentiert wurden, konnte man die Verwandlung von Anhängern des „demokratischen Zentralismus“ in eifrige Verfechter des föderalistischen Prinzips erleben. Im Bildungszentrum am Köllnischen Park, dessen Eingangshalle übrigens immer noch von einem fleischigen Monumentalbild Sittes verunziert wird, versammelten sich fast hundert Interessenten - meist Mitglieder und Sympathisanten (Mit-Leidende, der Begriff ist mittlerweile wörtlich zu nehmen) der PDS. Der Grundtenor war nüchtern, nicht ohne Selbstironie, mit einem Anflug von Resignation.

Die Spitzenkandidaten gehören zum Kreis derer, die das ewig lachende Gebiß zum Rücktritt zwangen und den Übergang der Staatspartei zu ihrer jetzigen, wenig dankbaren Rolle dirigierten. Klaus Hüpcke, langjähriger Kulturvizeminister und vor der Wende vergeblich bemüht, als systemloyaler Kritiker noch zu retten, was nicht mehr zu retten war, tritt für Thüringen an. Lothar Bisky, Rektor der Potsdamer Filmhochschule, Reformator und Newcomer im Apparat, ist die Nr.1 für Brandenburg. Klaus Scheringer, ein LPG-Vorsitzender und Landwirt aus Vorpommern, dessen Dialekt immer noch die Herkunft aus der berühmten bayerischen Kommunistenfamilie anzumerken ist, vertritt Mecklenburg-Vorpommern. Roland Claus schließlich, Ex-FDJler und sogar für eine kurze, turbulente Zeit SED-Bezirkschef von Halle, will es in seiner sächsisch-anhaltinischen Heimat versuchen.

Wie nicht anders zu erwarten, zeigten sich die Kandidaten wohlpräpariert, was die ökonomischen und sozialen Probleme ihrer Wahlregion angeht. Sie nahmen sogar davon Abstand, Strukturkrise und Massenarbeitslosigkeit umstandslos der kapitalistischen Wende zuzuschreiben. Wie soll Mecklenburg seinen Agrarexport Richtung Osten ankurbeln, was kann von der Chemie Sachsen-Anhalts gerettet werden, wie ist die Schließung der Bildungseinrichtungen zu verhindern, die jetzt überwiegend von den Ländern finanziert werden müssen? Man hofft beim Kampf um den Zaster auf die Solidarität der „Ostländer“ und ist sich doch im klaren darüber, daß sie auseinanderdividiert werden.

„Wir sind“, sagt Bisky, „ein kleiner Trupp strapazierter Leute.“ Er verteidigt sich gegenüber dem Vorwurf eines Medienkollegen, die PDS kämpfe nicht gegen die Apathie der Fernsehleute und Filmemacher, lasse klare Konzeptionen zur Rettung der Babelsberger DEFA vermissen. Unter den Verhältnissen der „Verdrängung“ durch die westlichen Medienkonzerne versuche jeder, seine Haut zu retten. Da könne die PDS vorschlagen, was sie wolle. Keiner der Spitzenkandidaten gibt sich der Illusion hin, die verschärfte Krise in der DDR werde der PDS die Wählerstimmen zutreiben. Gerade das „klassische“ Industrieproletariat sei von der SED am ärgsten malträtiert und am tiefsten enttäuscht worden - Diestel, den die PDSler für den beliebtesten Politiker der Noch-DDR halten, hat da die besseren Karten.

Obwohl alle Referenten dazu auffordern, mit Gejammere und Verfolgungswahn Schluß zu machen, grassiert unter den Anwesenden die Angst vor einer Neuauflage der Berufsverbote. Die Warnung eines alten Genossen, sich vor leichtfertigem Gebrauch dieser Vokabel zu hüten - schließlich gebe es genügend ehemalige Staatsdiener der SED, die Dreck am Stecken hätten - fruchtet da ebensowenig wie die aufmunternden Erinnerungen betagter Revolutionäre, die zu ihrer Zeit dem Klassenfeind furchtlos ins Auge geblickt hätten.

Zum Schluß sorgt eine hübsche Grauhaarige, mit der vor dem November bestimmt nicht gut Kirschenessen war, für Aufregung. Ob man denn unbedingt mit den diversen Linksextremisten Bündnisse eingehen müsse? Das verschrecke doch nur die Leute. „Abgrenzung hat es in der Vergangenheit genug gegeben“, erwidern die Spitzenkandidaten im Chor. Dem kann man nur zustimmen.