Bundesaufsicht über Stasi-Akten in DDR

■ Kompromiß zwischen Bonn und Berlin im Streit um Stasi-Akten / Lagerung in der DDR bis zu endgültiger Regelung durch gesamtdeutsches Parlament / Bündnis90/Grüne unzufrieden

Bonn/Berlin (afp/taz) - Bonn und Berlin haben sich am Donnerstag im Rahmen der abschließenden Verhandlungen zum Einigungsvertrag auf eine Neuregelung zur Sicherung und Nutzung der sechs Millionen Stasi-Akten geeinigt. Sie reagierten damit auf die Entscheidung der Volkskammer, die im Vertrag vorgesehene Übergabe der Personalakten an das Koblenzer Bundesarchiv abzulehnen. Das Parlament in Berlin hatte gedroht, dem Einigungsvertrag deswegen die notwendige Zweidrittelmehrheit zu verweigern.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurde vereinbart, daß Aufbewahrung, Nutzung und Sicherung der Akten durch das künftige gesamtdeutsche Parlament umfassend gesetzlich geregelt werden sollen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen die Stasi-Dateien und -Unterlagen, die personenbezogene Daten enthalten, durch einen Sonderbeauftragten der Bundesregierung „in sichere Verwahrung genommen und gegen unbefugten Zugriff gesichert werden“.

Der Sonderbeauftragte soll auf Vorschlag der DDR-Regierung bis spätestens 2. Oktober - einen Tag vor dem Beitritt - von der Bundesregierung berufen werden. Der Vorschlag bedarf der Zustimmung der Volkskammer. Der ständige Vertreter des Sonderbeaufragten soll der Präsident des Bundesarchivs werden. Die Lagerung der Dateien soll „zentral in der DDR erfolgen“.

Der Sonderbeauftragte soll durch einen von der Bundesregierung zu bestellenden Beirat beraten werden, der aus fünf Personen bestehen soll. Mindestens drei von ihnen müssen ihren Hauptwohnsitz zum Zeitpunkt des Beitritts in der DDR haben.

„Völlig unzufrieden“ äußerte sich am Freitag der Sprecher des Bündnis90/Grüne über die Vereinbarung. Die Entscheidung sei nur eine örtliche Verlegung von Koblenz auf DDR-Gebiet. Die Inhalte des einstimmig in der Volkskammer beschlossenen Gesetzes seien unberücksichtigt geblieben.

Das am vergangenen Freitag verabschiedete Gesetz sah unter anderem vor, daß die Volkskammer und die Länderparlamente Beauftragte wählen, die die auf DDR-Gebiet in Sonderarchiven gelagerten Akten verwalten.

Marianne Birthler, Volkskammerabgeordnete der Fraktion Bündnis90/Grüne, bezeichnete die Neuregelung gegenüber der taz als unbefriedigend. Der Ort der Aufbewahrung der Stasi -Akten sei nur ein Teil des Problems. Die Abgeordnete sprach sich nachdrücklich dafür aus, daß die Rechtsaufsicht in der Kompetenz der Länder liegen sollte. Es sei Sache der DDR -Bürger, Beauftragte auszuwählen, die für die Mehrheit der Bevölkerung und vor allem auch die Opfer der Stasi glaubwürdig seien. Auch mit der endgültigen Regelung durch das gesamtdeutsche Parlament mochte Birthler sich nicht anfreunden, da die Abgeordneten aus der DDR dort in der Minderheit sein werden. Die Sicherung und Nutzung der Stasi -Akten müsse Sache der Bürger der ehemaligen DDR sei, sprich der noch bestehenden Volkskammer oder der künftigen Länderparlamente. Die Fraktion Bündnis90/Grüne wird, wie die anderen Fraktionen auch, auf ihrer nächsten Sitzung am kommenden Dienstag auch über ihre Haltung zur Neuregelung und ihr Verhalten bei der Absegnung des zweiten Staatsvertrages in der Volkskammer befinden.

Für die CDU bezeichnete deren Fraktionsgeschäftsführer Rainer Viererbe die Neuregelung über die Stasi-Akten als „einen der Kompromisse des Einigungsvertrages, die gemacht werden mußten, damit er zustande kommt“. Bei der letzendlichen Regelung durch das gesamtdeutsche Parlament sah er „im Moment noch kein Problem“. Der Vorsitzende der DDR-SPD, Wolfgang Thierse, ging in einer Erklärung zum Einigungsvertrag nicht auf die Frage der Neuregelung der Stasi-Akten ein.

b.s.