Die Diplomatie macht ihren letzten Versuch

■ Hohe Erwartungen vor allem in Jordanien und anderen arabischen Ländern begleiteten das gestrige Treffen zwischen UN-Generalsekretär Perez de Cuellar und dem irakischen Außenminister Tarik Aziz. Solange geredet wird, wird jedenfalls nicht geschossen, und schon deshalb hofft man auf eine Fortsetzung der Gespräche in Bagdad. Dabei wissen alle Beteiligten, daß der Spielraum denkbar eng ist. Sowohl Bush als auch die in Cairo versammelten Außenminister der Arabischen Liga beurteilten die UN-Mission skeptisch.

Golfkrise

Anspannung, Pessimismus und dennoch kleine Funken der Hoffnung begleiteten das gestrige Treffen zwischen dem UNO -Generalsekretär Perez de Cuellar und dem irakischen Außenminister Tarek Aziz in der jordanischen Hauptstadt Amman. De Cuellar hatte seine Mission als „Austausch von Ansichten“ bezeichnet und damit klar gemacht, „Verhandlungen“ könne man das Recontre noch lange nicht nennen. „Ich bin nicht gekommen, um Konzessionen zu machen“, meinte er, bevor er sich mit Aziz im Königspalast zu einer ersten Gesprächsrunde zusammensetzte. Spielraum der Gespräche, so de Cuellar, seien einzig und allein die Resolutionen des Sicherheitsrates.

Daß man dann eine weitere Gesprächsrunde am späten Nachmittag ansetzte, wurde allgemein als positives Zeichen vermerkt. Den Dialog unter „alten Freunden“ (beide kennen sich aus der Zeit der Verhandlungen über eine Beendigung des Golfkrieges) bezeichneten beide als „sehr nützlich“. Man habe „die gegenwärtige Situation in allen Aspekten“ erörtert. Und die Entscheidung, die Gespräche fortzusetzen, zeige, „daß wir von ihrer Wichtigkeit überzeugt sind“, sagte Perez de Cuellar. Aziz hatte dem nichts mehr hinzuzufügen.

US-Präsident Bush, der sich von seinen westlichen Verbündeten eine ökonomische „burden-sharing“ (Lastenteilung) der militärischen Operation in Höhe von zehn Milliarden Dollar hatte absegnen lassen, meinte zur de Cuellar-Reise, er sei zwar befriedigt über die Bemühungen für eine friedliche Lösung der Golfkrise. Aber: „Ich bin nicht optimistisch“.

Zu eher pessimistischen Einschätzungen über die bestehenden Chancen einer politischen Lösung sorgt jedoch nicht nur der anhaltende Truppenaufmarsch der USA und Iraks. Auch die vor Tagen von Saddam Hussein angekündigte Ausreiseerlaubnis für Hunderte ausländische Frauen und Kinder hat sich von Tag zu Tag mit schikanösen Auflagen verzögert und treibt den Westen zur Weißglut. Gestern nun durften die ersten Geiseln ausreisen.

Nicht zuletzt ein Interview, das der irakische Außenminister Tarik Aziz der französischen Tageszeitung 'Le Figaro‘ am Freitag gab, goß Öl ins Feuer der Befürworter einer härteren militärischen Linie, zu denen sich mittlerweile auch die Mehrheit der französischen Bevölkerung jüngsten Umfragen zufolge zählt. Aziz bekundete darin zwar sein Vertrauen in die „Verhandlungsmethode“ des UNO -Missionärs und befürwortete eine arabische Lösung. Doch dann polterte er drauflos und drohte mit terroristischen Aktionen gegen den Westen. „Wenn man uns eine Chance gibt, in Frieden zu leben, dann tun wir alles uns mögliche, die friedlichen Beziehungen zwischen unserer und Ihren Nationen aufrechtzuerhalten. Wenn nicht, wenn Sie imperialistische Methoden benutzen, wenn Sie den Irak mit Ihren Schiffen und Flugzeugen bedrohen, dann bin ich frei von jeder moralischen Verpflichtung gegenüber den amerikanischen, französischen und britischen Regierungen.“ Vor allem Frankreichs Haltung habe den Irak „schockiert“. Diese Drohung mit terroristischen Gegenschlägen wiederholte Aziz gestern auch gegenüber de Cuellar.

In Amman wird der Ausgang der Gespräche mit angstvoller Spannung erwartet. Denn die Jordanier müssen befürchten, daß sie sich im Falle eines Krieges buchstäblich zwischen den Fronten befinden. „Die Entscheidung über Krieg oder Frieden hängt von der Mission des UN-Generalsekretärs ab“, titelte die englischprachige jordanische Tageszeitung 'Jordan Times‘ in ihrer Wochenendausgabe. Während in Kairo die Arabische Liga tagt und König Hussein von Jordanien westeuropäische Staaten von der Möglichkeit einer innerarabischen Lösung zu überzeugen versucht, klammert man sich in Amman an den UNO -Mann wie an einen Strohhalm, hoffend, daß es ihm doch noch gelingen werde, eine Wende in der Golfkrise herbeizuführen und einen Prozeß der Deeskalation einzuleiten. Doch auch wenn die arabisch-sprachige jordanische Tageszeitung 'Ar -Ra'i‘ diese Hoffnung artikuliert, einen Satz später wird resigniert angemerkt: „Es ist bedauerlich, von George Bush zu hören, daß sein Land von solchen Gesprächen nicht viel erwartet.“

Die unüberbrückbar scheinende Kluft zwischen der US -amerikanischen und der irakischen Position wird vor allem mit Blick auf den minimalen Spielraum betrachtet, den der irakische Außenminister in diesen Gesprächen haben wird: „Während seines Besuches in Amman wird Perez de Cuellar... aus erster Hand erfahren, daß ein bedingungsloser irakischer Abzug aus Kuwait... angesichts der massiven Präsenz fremder Truppen unter US-amerikanischer Führung und in Ermangelung zuverlässiger Garantien, daß Irak in der Zwischenzeit nicht angegriffen wird, eine unerfüllbare Bedingung ist.“ So heißt es in der 'Jordan Times‘.

Und wenn denn schon ein bedingungsloser irakischer Abzug aus Kuwait im Zentrum der Gespräche stehen müsse, dann solle doch einmal klar gesagt werden, in welche Grenzen sich Irak eigentlich zurückziehen solle: Die Schwierigkeiten zwischen Irak und Kuwait gingen bis in die Zeit des 1. Weltkrieges zurück. Die beiden Staaten hätten seit dieser Zeit keine Übereinkunft über eine gemeinsame Grenze erzielt.

Vor einigen Tagen haben zwei Professoren der Yarmuk -Universität in Amman an der gleichen Stelle eine Analyse veröffentlicht, in der sie eine weitaus pointiertere Position beziehen: Tatsächlich habe Irak Kuwait nicht annektiert, sondern sich mit Kuwait nach langen Jahren der Teilung „wiedervereinigt“.

So entschiedene pro-irakische Stimmen sind zumindest in den englischsprachigen Medien Jordaniens zur Zeit nicht zu vernehmen. Aber die Stimmung unter den Bewohnern der durch die Krise immer mehr unter Versorgungsengpässen und Preisexplosionen leidenden Stadt ist unverändert. In der Stadt kursierte gestern morgen das Gerücht, daß sich die Leute nach dem Freitagsgebet zu einem großen Protestmarsch gegen die Präsenz fremder Truppen in Saudi-Arabien und am Golf und zur Unterstützung von Saddam Husseins Politik zusammenfinden würden. Sollten die jüngsten Signale aus Amman nicht trügen, könnte die UNO-Mission de Cuellars nicht ganz hoffnungslos sein und ihm die Tür in Bagdad um einen Spalt geöffnet werden. Und auch wenn die Zeit drängt: Der sowjetische Staatspräsident Gorbatschow und sein Außenminister Schewardnadse meinten in getrennten ausländischen Zeitungsinterviews, noch seien die politischen Mittel nicht erschöpft. „Wenn die Situation dies erfordert“, sei er bereit, nach Bagdad zu reisen, so Schewardnadse. Doch glaubt man dem PLO-Führer Arafat, werden in Bagdad ganz andere Pläne geschmiedet. Gegenüber dem französischen Premier Rocard meinte er gestern in Paris, Saddam Hussein habe ihm erklärt, sollte es zu einer militärischen Konfrontation kommen, würde er alles Öl in den Golf laufen lassen und anzünden. Die westliche Armada stünde dann in Flammen.

Nina Corsten