Nie wieder Pommes-Beck's „bei Anni“

■ Weil Anni 65 ist und Rudi 72 / Mit dem 1. September machte „eine Institution“ Am Dobbenweg dicht

„bei Anni“ am Dobbenweg ist dicht. Freitag, der 31. August, war Schluß. Endgültig. Aus und vorbei. Nie mehr wird Anni's Hand Gulasch „mit Selleriesalat, Salzkartoffeln und Rotkohl“ für 7 Mark auf gemusterten Tellern verteilen. Nie wieder wird Rudi donnerstags den Stammgästen neben die Papierservietten Eintopf für 5,50 Mark auf einen der drei Resopaltische schieben. Und der „Seefisch mit Pommes oder Kartoffelsalat“ ist für alle künftigen Freitage gestorben. Warum um alles in der Welt haben die beiden dicht gemacht? Warum lassen sie den schlauchartigen, überlangen Thekentresen im Stich, die geblümten Barhocker-Bezüge, die goldglänzenden Messingfiguren an den weißen Klotüren, die aufgeschichteten „Lux„- und „Peer„-Schachteln hinterm Tresen, die eingewickelten Underberg-Fläschchen? „Unser Vertrag läuft ab“, sagt Rudi, als wäre das die größte Selbstverständlichkeit auf der ganzen Welt. „Sie ist 65, ich bin 72. Da muß man doch mal aufhören.“ Seit wann wissen die beiden denn, daß sie dichtmachen? „Seit zwanzig Jahren“, sagt Anni, ebenfalls in knappsten Worten und fügt hinzu: „Vor fünf Jahren haben wir den Vertrag noch mal verlängert.“ Aber jetzt wäre eben Schluß.

Ob jemand die Kneipe übernimmt, wissen sie nicht. Wer würde denn noch soviel Arbeit auf sich nehmen. „Jeden Tag war sie von morgens neun bis abends eins unterwegs“, erzählt Rudi anerkennd. Und am Dienstag, wenn das Schild „Ruhetag“ draußen hing? „Da mußten wir ja einkaufen“, klärt Rudi auf.

1953 hat sie „bei Anni“ begründet. Auf einem Trümmergrundstück, schräg gegenüber, da, wo heute die Autos parken. Sie war Flüchtling „von Schlesien - Bad Reinerz, Grafschaft hier das Foto bei Anni

Glatz“. Ist bei Onkel und Tante groß geworden und erblich vorbelastet: „Die hatten das 'Bahnhofshotel‘.“ Rudi arbeitet seit 1968 bei ihr - „als lohnabhängiger Angestellter“, wie er immer sagt. Rudi betont: „Ich bin kein Kneipengänger, aber ich bin hängengeblieben.“ Anni drückt die damaligen Ergeignisse prosaischer aus: „Mein Mann ist '68 gestorben. Ich mußte ja jemand haben. Der mir die Kisten trägt.“ Rudi protestiert gegen diese Sätze. Dann sagt er in seinen Worten: „Das ist die kleine Familiengaststätte. Wo zwei arbeiten müssen, um den Leuten eine gastliche Heimat zu geben und die Möglichkeit des Gedankenaustausches. Das sind oftmals Alleinstehende, die zu Hause nur mit der Blume oder mit dem Teddybär sprechen.“ Das ist für ihn der „tiefere Sinn“ der Kneipe: „Der Verkauf ist ja nur die Oberfläche. Für die Existenz.“ Dann sagt Rudi: „Den Beliebtheitsgrad der Wirtin können Sie an den Geschenken erkennen.“ Die Stammgäste sind mit Geschenkpapier und Rosen und Chrysanthemen und Zinn gekommen. Die Männer am Tresen nicken: „Ich vergleiche eine Wirtin mit einem Pfarrer bei der Beichte“, sagt einer. Sein Nachbar fügt hinzu, Anni wäre eben ein „Abladeplatz für den Seelenschutt“ gewesen.

„Eine Institution schließt“, faßt der eine die Ereignisse des Tages zusammen.

Barbara Debus