EinheitsWürdigungsGroteske

■ Die großangekündigte Tonlichtschau „Berliner Klangwolke“ auf dem Marx-Engels-Platz

Als zauberisch-phantastische Inszenierung war sie angekündigt, die Berliner Klangwolke. Ein multimediales, technisch höchst aufwendiges Spektakel wäre sie wahrscheinlich bestenfalls geworden; aber es kam alles ganz anders. Die Inszenierung begann mit einer Ansprache des Architekten jener Show, Walter Haupt, in der er mitteilte, wie hart das Schicksal, das grausame, ihm und seinem Werk mitgespielt hatte. Denn den von ihm geplanten Feuerbildern,

-schriften, -landschaften und -wänden, wobei letztere „funkelnd“ und „in riesigen Ausmaßen“ über das Außenministerium, das Staatsratsgebäude und den Palast der Republik herunterstürzen sollten, waren Wasserstürze, himmlisch echte allerdings, zuvorgekommen, sprich: Das Gewitter und die Böen der vorangegangenen Nacht hatten verheerende Schäden in den Feuerwerksinstallationen und dem technischen Gerät angerichtet. Wütend hatten sich die Fluten über die Aufbauten ergossen, der Sturmwind sie „vernichtet“, „zerfetzt“ und „verweht“ - an mitleidheischender und berechneter Dramatik war dieser Vorspann so leicht nicht zu überbieten; rührseliger ward selten ein Wort zum Sonntag gesprochen.

Was folgte indes, spottete selbst noch diesem Präludium. Noch nicht einmal ein Torso des Angekündigten war übriggeblieben, keine Feuerwand fiel, keine Wasserwand türmte sich, keine Feuerlandschaft, kein Kreuz, kein Brandenburger Tor... Was da noch geboten wurde, war die blanke Ruine der verheißenen Lichtwunder. Das entzog den Glitzerteil dieser Inszenierung zwar fast der Kritisierbarkeit; wie wirkunsvoll und raffiniert er gewesen wäre, läßt sich so kaum beurteilen. Dies aber läßt sich mit Sicherheit sagen: Es ist kaum anzunehmen, daß Herrn Haupt und seiner Crew das Ausmaß der Schäden verborgen geblieben war. Und angesichts dieser Sachlage hätte die Veranstaltung schlicht abgesagt werden müssen. Sie stattfinden zu lassen, ohne das Publikum vor dem Kartenkauf (an den Kassen etwa) von den zu erwartenden Mängeln zu unterrichten, kann kaum anders bezeichnet werden denn als reichlich unverfrorener Publikumsbetrug. Jeder Sänger sagt ab, wenn ihm nachmittags nur die obersten eineinhalb Töne fehlen, Haupt verfügte vielleicht gerade noch über ein 3/4 Lichtoktävchen. Aber da stand ihm halt doch wohl das Geld näher als künstlerische Seriösität.

Ob es mit der allerdings überhaupt allzu weit her ist, kann bezweifelt werden. Gar nicht geredet sei von seiner Entrada, einer Kette ebenso öder wie aufgeblasener Klanggebilde, die nichts weiter als Wachstum und Wucht in klischeehaftester Form in die Ohren bliesen; und seinem Laser-Comic -Dirigenten, der wohl witzig sein sollte...?

Sollte Herr Haupt sich darauf zurückziehen, mit seiner Laserbebilderung des Gefangenenchores aus Nabucco habe er nur dessen ideellen Gehalt von den deutsch-deutschen Ereignissen her Licht werden lassen wollen, ist doch aber klar, daß umgekehrt (so wie er es anlegte) der Eindruck ganz unvermeidbar war, daß er die deutsch-deutschen Ereignisse ins Licht des ideellen Gehalts dieses Gefangenenchores zu tauchen suchte. Allerdings, die Verklärung dessen, was sich seit Oktober 89 abspielte, zum Aufbruch Ostdeutschlands in die große Freiheit, setzt nicht nur die Methode fort, wie in den letzten Monaten der Fall der Mauer als Sieg westlicher Freiheit über den knechtenden Sozialismus west-ideologisch ausgeschlachtet wurde, sondern dient die Kunst solcher Augenwischerei und westlicher Meinungsmache geradezu an (aus den wohlvertrauten Gründen). Das sei ungerecht? Denn hat Haupt in den Unterlegungen von Mussorgskys Bilder einer Ausstellung nicht auch „Konsumterror“, „ökologische Katastrophe“, „Industriealpträume“ (Programmtext!) kritisch aufgegriffen? Was man sah, war um keinen Deut besser als jene Nabuccoillusionierung. Die zerbrochene Ostmark neben der D-Mark mit Heiligenschein. Der Heiligenschein war vielleicht ironisch gemeint? Die einzige (und ziemlich perverse) Ironie war, daß Haupts Heiligenschein-Inszenierung ausgerechnet der Mussorgsky-Passage zugeordnet war, die sich auf das Bild des reichen Juden bezieht, der unerbittlich bleibt gegen den armen, bittenden Juden und damit Interesse vor Menschlichkeit ergehen läßt.

Bedenkt man, was der Fall der Mauer an Chancen eröffnete und was davon inzwischen vertan, verspielt, mißachtet wurde, dann entsprach die „Würdigung“ - und als Glorifizierung der deutsch-deutschen Ereignisse war das Spektakel durchaus angelegt - auf höchst groteske Weise den politischen Vorgängen der letzten Zeit. Beide sind entgleist.

So durfte das Ganze dann auch angemessen in einem total verballerten, zugeknallten (Wo bleibt das multi des Medialen, wenn man vor lauter Gedröhn die Musik gar nicht mehr hört?) und zunehmend von Pulvergestank umheimelten Halleluja verenden.

Bernward Eberenz