Lafontaine und die „ostdeutschen Länder“

■ Der Kanzlerkandidat der SPD stellte sein Regierungsprogramm vor / Reformen sollen verschoben und staatliche Beschäftigungsgesellschaften gegründet werden / Seiters: „SPD bleibt Steuererhöhungspartei“

Aus Bonn Tina Stadlmayer

Gutgelaunt stellte der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine am Samstag den Bonner Journalisten sein Regierungsprogramm vor. „Im Interesse der Einheit“, ulkte er, der mit staatlicher Einheit lange nichts am Hut haben wollte, müsse zur Zeit eben auch nachts und samstags gearbeitet werden. Gemeinsam mit seinen Parteifreunden aus der DDR hatte der Kandidat sein ursprüngliches Programm mit dem Titel „Fortschritt 90“ noch einmal überarbeitet. Heraus kamen „100 Punkte für die wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und demokratischen Fortschritt“. Im Kern blieb es bei den alten Vorschlägen, ergänzt durch vage Ideen, wie den „ostdeutschen Ländern“ (an dieser Bezeichnung hat die SPD lange gefeilt) geholfen werden könnte.

Der Ökologieteil besteht aus drei „Säulen“. Erstens: Anheben der Energiesteuern, mithin höhere Benzinpreise. Geringverdiener und Pendler sollen jedoch einen Ausgleich erhalten. Zweitens: Umweltabgaben, zum Beispiel auf Sondermüll, Luftschadstoffe und Abwasser sollen erhöht werden. Drittens: Gefährliche Stoffe, wie FCKW, will die SPD verbieten.

Für die „ostdeutschen Länder“ schlägt Lafontaine vor: Moderne Braunkohleverbrennung plus Energiesparen. Atomkraftwerke will er peu a peu abschalten. Solange sie noch laufen, sollen die Betreiber höhere Versicherunssummen zahlen.

Neben dem „ökologischen Umbau“ verspricht der Kanzlerkandidat mehr Sozialwohnungen, weniger Überstunden, mehr Kindergeld, und einen Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze. Das Ehegattensplitting - es begünstigt steuerlich die Hausfrauenehe - soll nicht abgeschafft, sondern leicht gekürzt werden. Eine soziale Grundsicherung für Arbeitslose, Rentner und Pflegebedürftige will Lafontaine auf die zweite Hälfte der Legislaturperiode verschieben, „wenn die Finanzierbarkeit gegeben ist“.

Neu ins Programm aufgenommen hat die SPD die Idee, in den „ostdeutschen Ländern“ staatliche Beschäftigungsgesellschaften zu gründen. Arbeitslose sollen dort umgeschult und qualifiziert werden. Lafontaine: „Zig Millionen werden zur Zeit in der DDR für Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld ausgegeben.“ Sinnvoller sei es, „statt Nichtstun zu finanzieren die Hilfe am Aufbau zu organisieren“.

Bei der Frage nach der Finanzierung seines Regierungsprogrammes gerät Lafontaine ein wenig ins Schleudern. Ursprünglich hatte die SPD alles so schön durchgerechnet aber durch die Wiedervereinigung sehen die Zahlen anders aus. Einziger konkreter Vorschlag: Abbau der Rüstungskosten. Und: Finanzminister Waigel soll erst einmal die wahren Kosten der Einheit auf den Tisch legen. Zum Schluß kommt die obligatorische Frage: Mit welchem Partner will Lafontaine das künftige Gesamtdeutschland regieren? Lässiger als sein Vorgänger Rau, der vor vier Jahren verzweifelt an der unglaubwürdigen Option von der absoluten Mehrheit für die SPD festhielt, spielt der Kandidat verschiedene Varianten durch. Bei der Frage des Schwangerschaftsabbruchs habe es in den letzten Tagen zusammen mit der FDP bereits andere Mehrheiten gegeben. Auch eine große Koalition will er - schmunzelnd - nicht ganz ausschließen. Er habe sich bei den nächtlichen Verhandlungen um den Vereinigungsvertrag mit Bundeskanzler Kohl hervorragend verstanden, berichtet die Bonner Gerüchteküche. Dazu Lafontaine: „Ich bin eben ein freundlicher Mensch.“

Kanzleramtsminister Rudolf Seiters sagte zu den Vorstellungen Lafontaines: „Ich kann nur sagen, dies ist alter Wein in neuen Schläuchen. Vor dem Trunke kann ich nur warnen. Die SPD ist und bleibt die Steuererhöhungspartei.“ Der CSU-Vorsitzende Finanzminister Theo Waigel kommentierte, die SPD sei den Bürgern die Antwort schuldig geblieben, wie sie ihr Programm finanzieren wolle. „Lafontaines in Bonn konfus vorgetragene Pläne“ liefen auf massive Steuererhöhungen und neue staatliche Lenkungen hinaus.