Wahlkampfauftakt in Kassel

■ Büchsenerbsen für die grüne Prominenz / Wahlkampf-PR-Aktion scheiterte

Die Hotelküche des „Dorinth“ in Kassel hatte sich auf die Gäste aus der DDR eingestellt: Putengeschnetzeltes in geronnener Soße in Kombination mit Büchsenerbsen und Croquetten aus der Tiefkühltruhe waren das kulinarische Ambiente einer west-östlichen Sitzparty ohne Diwan, die eigentlich unter dem Titel „Auftaktveranstaltung“ der Grünen/Bündnis 90 für den Bundestagswahlkampf firmierte. So jedenfalls hatten die Pressereferenten des Bundesvorstandes der Partei (BuVo) und des hessischen Landesvorstandes (LaVo), Norbert Franck und Margareta Wolf, die Konferenz „mit promineter Beteiligung“ im Vorfeld verkauft und zusätzlich noch eine „unkonventionelle Aktion zum Antikriegstag“ angekündigt. Man habe „Flagge zeigen“ und sich „den neuen Bewegungen auf der Straße stellen“ wollen, erklärte BuVo-Sprecher Christian Ströbele nachher im Hotel Dorinth den Plan zu der „unkonventionellen Aktion“: Im Rahmen der DGB-Demonstration zum Antikriegstag sollte ein Sprengschacht der US-Army in der Kasseler City zugemauert werden. Doch der Einsatzleiter der präsenten hessischen Bereitschaftspolizei drohte mit dem Zeigefinger - und die westdeutschen Grünen, begleitet von wenigen „Zonies“, ließen den Zement in der Schubkarre hart werden.

Eher sanft gingen die knapp hundert TeilnehmerInnen aus West und Ost dann auf der Konferenz miteinander um. Die „Nörgeltruppe“ (Ströbele) innerhalb der Vereinigung Grüne/Bündnis 90 glänzte in Kassel durch Abwesenheit: Kein/e VertreterIn des 'Neuen Forums‘ hatte den Weg nach Nordhessen gefunden - und so blieb die delikate Namensfrage für das Wahlbündnis undiskutiert. Ein leibhaftiger grüner Minister war nach Nordhessen gekommen: Jürgen Trittin, der niedersächsische Minister für Europa- und Bundesratsangelegenheiten. Doch so recht schien keiner der prominenten TeilnehmerInnen zu wissen, was eigentlich angesagt war in Kassel. Vorgabe des BuVo: die gemeinsamen Wahlkampfschwerpunkte, die am 29. August in Berlin von „autorisierten VertreterInnen der am Bündnis beteiligten Organisationen“ auf einer gemeinsamen „Plattform“ angerichtet worden waren. Die zum Redebeitrag aufgeforderte Parteiprominenz schien dadurch zu „staatstragenden Statements“ provoziert, wie ein Konferenzteilnehmer aus Thüringen enttäuscht anmerkte. Christian Ströbele teilte den Anwesenden mit, daß „Kohl abgewählt“ werden müsse und daß die Grünen/Bündnis 90 wieder „verstärkt auf der Straße präsent“ zu sein hätten. Renate Demus (BuVo) las dem Auditorium noch einmal die schriftlich vorliegende Wahlplattform auszugsweise vor, und Hans-Peter Schneider von „Demokratie Jetzt“ (DJ) fordete dazu auf, den Begriff „links“ neu zu diskutieren und zu besetzten. Die SED sei nämlich nie eine „linke“ Partei gewesen. Und deshalb dürfe es mit der SED-Nachfolgeorganisation PDS keine Zusammenarbeit und schon gar kein Bündnis geben - eine Feststellung, der in Kassel nicht widersprochen wurde. Hart ging Wolfgang Templin von der „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ (IFM)) mit der SPD ins Gericht: In „geradezu widerwärtiger Weise“ hätten sich die Sozialdemokraten den Bürgerbewegungen in der DDR nach der Wende aus rein wahltaktischen Überlegungen heraus „angebiedert“. Die Westgrünen seien dagegen schon in den harten Zeiten des Stalinismus auf die Bürgerbewegungen im Osten zugegangen, „als die SPD im Westen noch ihre Verbeugungen vor der SED gemacht hat“.

Ein Sachse sorgte für Heiterkeit, der ein Bündnis mit der PDS gegen die Konterrevolution forderte. Wichtig ist, was hinten „rauskommt“, sagt Bundeskanzler Helmut Kohl. In Kassel jedenfalls kam bei den Grünen/Bündnis 90 weder hinten noch vorne etwas Wichtiges raus. Doch bis zu den „Reichstagswahlen“ (Ströbele) haben die Grünen und die Bürgerbewegungen noch „viel Zeit, einen schlagkräftigen Wahlkampf zu organisieren“, meinte Ozan Ceyhun ironisch. Grüne kämen schließlich langsam, aber dann gewaltig.

Klaus-Peter Klingelschmitt