Kunst im Selbstgespräch

Aktion „Metamorphosen“: Drei Wochen lang sehen Innenstadt-Kulturgüter etwas verdutzt aus  ■  hierhin das Foto mit

den fünf hochgespannten

Tischdecken

„Was?“ - „Ich sagte: vorübergehende Kunst. In drei Wochen ist ja alles wieder weg“, schreit Wieland Leseberg. Der Lastwagen lärmt und rumpumpelt. Wir fahren in der Stadt herum, Kunst holen, Kunst abladen. Hinten liegen Kabelrollen und alte Decken und eine Bohrmaschine. Alle paar Ecken halten wir und springen hinaus in den milden Sonntag, dann zeigt er mir wunderliche Leute in Werkeltagskluft, die sägen und schrauben und Gestänge von hie nach da schleppen. Das ist die Aktion „Metamorphosen“. In wenigen Stunden werden wir schwerwiegende kulturelle Klöpse im Innenstadtraum von fremder Tat kommentiert finden und befußnotet, dann steht Werk gegen Werk.

Dem Bahnhof gegenüber, unter der Hochstraße, steht im Overall Manfred Nipp, das ist so einer mit Seegras -Schnäuzer, und rüttelt prüfungshalber an einem metallenen Aussichtstreppchen. Es wird zur Betrachtung der bislang ganz unauffällig gebliebenen Installation von Norbert Rademacher dienen: oder kennen vielleicht Sie dieses zur endlosen Achterschleife verflochtene Geländerchen aus nichts als schwereloser Idee? Am Hillmannplatz steht ein Zwilling davon, den hat Nipp mit pfundigen Pflastersteinen gefüllt, davon wird er jetzt jeden Abend ein paar hierher umladen, bis nach und nach das Licht von zwei Scheinwerfern am Grund der Acht erstickt ist. Ich weiß nicht recht. Wir müssen sowieso weiter.

Am Rathaus neben den Stadtmusikanten haben wir Kästen ausgeladen aus Acrylglas, jetzt liegen sie aufgereiht und numeriert, und vor einem Eimer kauert Wolf

gang Hainke und macht Kleber fertig. Er wird ein zweites Stadtmusikantenpodest mauern und knapp neben das Original stellen, so daß die Leute, sagt er, sich dazwischenzwängen müssen zwecks Fotografiertwerden und dann also „automatisch Hab-Acht-Stellung einnehmen“, sagt er.

Um die Ecke, auf dem Domshof, ist Anette Venzlaff auf Montage. Sie hat Stahlrohre und Betonquader als fertige Steckteile, daraus werden Ständer für Siebdruckrahmen, sieben an der Zahl. Früher sind damit Tischdecken bedruckt worden, nacheinander mit sieben Farben, jede Farbe ein Rahmen. Man erkennt noch dar

auf die verschiedenen Teile des Musters, Blümchen, Löckchenschnörkel, vegetarische Ornamentik. „Eine Tischdecke für den Domshof“ nennt sich die Aktion, und tatsächlich läßt sich über den Platz kaum Spitzeres sagen, als daß ihm eine solche stünde.

Drei Wochen lang können wir im öffentlich-räumlichen Milieu belauschen, wie dort die Kultur Selbstgespräche führt. Kunst kommentiert Kunst und auch umgekehrt, und Sockel diskutieren mit Sockeln. Wie könnte man bloß eine richtige Talkshow draus machen? Wir fahren weiter. „Ist das nicht ein bißchen ratlos?“, frage ich. Findet Leseberg auch, sei aber nur natürlich, wegen Umbruch. Er habe, für die Kommunale Galerie, erst mal den Plan ausgeheckt, Leute, die noch nie im öffentlichen Raum werktätig waren, frische Leute also, aus ihren Ateliers zu holen, auf daß sie draußen das gewohnte Kulturmobiliar ein wenig modulieren.

In den Wallanlagen am Herdentor treffen wir auf den Fotografen Joachim Fliegner samt Stativ. Er wird, für den Katalog, von allen Objekten künstlerische Vorher- und Nachherfotos machen. Da haben wir also den Kommentar dritten Grades. Und im Katalog sind dann zwischen die Fotoseiten, wie im Album, Pergamentblätter geklebt, darüber läuft ein Rundgangsprosatext von Hajo Antpöhler: vierte und nicht letzte Ebene; wir sind auch noch da. Ein paar Schritte weiter steht eine Leiter an einen hohen Kasten gelehnt. Gabriele Regiert hat der klassizistischen Steinhäuser-Vase von 1856 jetzt schon die Winterverkleidung übergestülpt und behängt jetzt einen angeschraubten Arm mit Ketten von gipsernen Klößchen. Eine alte Dame tritt heran und tut die wunderbare Frage: „Ach Entschuldigung, warum machen Sie das?“ Und was kriegt sie für eine Antwort? „Das ist Kunst,“ sagt man ihr. „Dann geben sie sofort Ruhe“, erfahre ich auf Nachfrage von der Assistentin, während sie mit einer Drahtbürste an einer Seite des

Holzgehäuses schabt, wegen Sprühanschlag (“...und wir haben kein Dach über dem Kopf“ oder so).

Gegenüber den Rückriem-Klotz wird Ute Ihlenfeld mit Gehäuse versehen und ein zweites, identisches daneben aufstellen, was ganz schön taschenspielerisch ist, weil man sich nun womöglich Sorgen macht, wo drunter er steckt, der Stein. Und ob überhaupt noch. Verdoppeln, spiegeln, wiederholen: eine beliebte Form des Kommentars, von Autismus nicht ganz ungefährdet.

Dieter Gerdes macht am Landherrenamt ein leicht variiertes Duplikat des Denkmals für die

Opfer der Reichskristallnacht. Und Will Gmehling hängt für die Dauer der Aktion ein Tonbandgerät in einen der Bäume am Denkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges. Dort ist dann, auf Endlosschleifenband, Tag und Nacht schlichtes Atmen zu hören.

Nicht alle Vorhaben sind behördlich genehmigt worden. Sabine Straßburger wollte am sogenannten Deutschen Haus den Sinnspruch soweit mit Plane abdecken, daß nur das Wort „denke“ hervorgelugt hätte. „Eine erneute Diskussion“ um diesen Spruch wurde amtlicherseits „nicht für notwenig erachtet“. Manfred Dworscha