: Parteilich, feministisch, frauenunterstützend
■ Sieben Jahre Frauentherapiezentrum / „Es kommen unglaublich viele mit sexuellen Mißbrauchserfahrungen“
Anfangs war das Frauentherapie zentrum noch in ein Ladenlokal in der Neustadt gezwängt. Seitdem sind sieben Jahre vergangen. 1985 zog das Zentrum in ein Altbremer Haus im Steintor um - mittlerweile mit der begehrlichen Absicht, sich dort auf eine dritte Etage auszudehnen. Nächste Woche wird das Frauentherapiezentrum sieben Jahre - Anlaßzu einem Besuch.
Im Haus herrscht eine ruhig-angenehme Therapie-Atmosphäre: Heller, warmer Teppichboden, schlanke Gladiolen aus dem eigenen Garten, Musikinstumente, Kasperlefiguren. An einer Wand ein großes Poster von Simone de Beauvoir. Im Angebot hier: Beratung, Therapie und Selbsthilfe - und zwar, so die drei Eigenschaftsworte, die in dem Pressegespräch immer wieder fallen: „parteilich“, „feministisch“, „frauenunterstützend“.
Eine Sekretärin und sechs therapeutisch ausgebildete Fachfrauen haben in der Humboldtstraße 88 ihren Arbeitsplatz. Nach einer Krisenphase arbeitet das Team in den letzten vier Jahren wieder stabil. Pro Woche kommen regelmäßig 81 Frauen zu den Einzel- und Gruppensitzungen. Weniger „Szene-Frauen“ oder „Frauen-Bewegungs-Frauen“, als ein vom Alter und vom sozialen Umfeld her gemischtes weibliches Klientel. „Das war von Anfang an so. Da freue ich mich noch heute drüber“, sagt Projektfrau Monika Veith, die einzige aus der Generation der Projektbegründerinnen, die im siebten Jahr noch dabei ist. „Das zeigt, daß unsere Vermutung richtig war, daß sich viel
mehr Frauen eine parteiliche Unterstützung wünschen, als allgemein angenomen wird.“ Die Warteliste für einen Therapieplatz ist lang, auf eine Frist von einem Jahr muß frau sich einstellen. In dringenden Fällen bieten die Mitarbeiterinnen Krisen- oder Überbrückungsstunden an.
Aus welchen Motiven kommen Frauen? In den ersten Jahren hätte unter den Klientinnen das Bedürfnis vorgeherrscht, sich selbst zu erfahren, sich in Gruppen mit anderen Frauen weiter zu entwickeln. In den letzten Jahren kämen, so Monika Veith, zunehmend Frauen mit schweren psychischen Störungen und Gewalterfahrungen. Ihre Kollegin Angela Timm zählt auf: „Es kommen viele mit sexuellen Mißbrauchserfahrungen. Unglaublich viele im Moment. Dann kommen Frauen, die vergeblich versucht haben, woanders eine Therapie zu machen. Und die sich jetzt noch mal trauen. Es kommen Frauen mit dem ganz klaren Anliegen, zu einer Frau zu wollen. Und lesbische Frauen.“ Für die letzteren bieten zwei lesbische Therapeutinnen im Zentrum auch Paarberatung an. Im Jahresbericht des Therapiezentrums sind die Beweggründe aufgelistet, die Frauen im Erstgespräch selbst angeben. Es dominieren dabei mit 53,5 Prozent die Beziehungsprobleme.
Projektfrau Maike Ulms merkt an, daß Frauen sich traditionell lieber an männliche Therapeuten wendeten. Getreu dem Durchhalte-Prinzip: „Ich habe Probleme mit Männern, also muß ich das Problem mit einem Mann bearbeiten.“ Frauen seien dahin geprägt: „Ich muß stand halten, ich
muß mich dem stellen.“ Diese Leitsätze würden oft erst dann in Frage gestellt, wenn Frauen merkten, daß sie sich einem Therapeuten-Mann nicht vorbehaltlos anvertrauen könnten etwa mit ihren sexuellen Schwierigkeiten, oder daß er sich nicht einfühlen könne in ihre Eß-Probleme und in ihren lebenslangen Hader mit dem weiblichen Schönheitsideal, erst dann wendeten sich viele Frauen Therapeutinnen zu.
Was genau aber ist feministische Therapie? Monika Veith sagt ihre Definition: „Feministische Therapie heißt, daß wir Probleme von Frauen - Eßstörungen, Depressionen, sexuelle Schwierigkeiten - nicht als indi
viduelle Probleme sehen, sondern in dem Bewußtsein, daß Frauen von Kinheit an bestimmten Beschränkungen unterworfen sind und daß ihnen später wenig Raum gelassen wird, andere Bewältigungsstrategien zu entwickeln.“ Wie aber verhalten sich die „parteilichen“ Therapeutinnen, wenn sie von ihren Klientinnen Klagelieder zu hören bekommen, über die Mütter, die ihre Töchter vernachlässigt oder verraten haben - wobei diese Mütter doch auch Frauen sind? Monka Veith: „Wenn ich mit einer Tochter arbeite, wäre ich auf keinen Fall für ihre Mutter, die ihr Kind schwer geschädigt hat, parteilich - nur weil sie eine Frau ist. Ich bin al
lerdings der Meinung, daß die Schädigungen von patriarchalischen Strukturen herrühren. Und durch diese Strukturen werden Mütter genauso geschädigt und Söhne auch. Anders liegt der Fall der Parteilichkeit, wenn ich mit mit einer Mutter allein arbeite.“ Können sich die Bremer feministischen Therapeutinnen auch Fälle vorstellen, in denen es für eine Frau gut wäre, sich an einen männlichen Therapeuten zu wenden? Angela Timm zögert: „Dazu kann ich nur meine Privatmeinung sagen. Ja, ich könnte mir solche Fälle vorstellen. Ich denke an Nach-Sozialisation, wenn eine Frau in ihrer Kindheit nur sehr schlechte Erfahrungen mit Män
nern gemacht hat. Warum soll sie dann nicht bei einem Mann Therapie machen, wenn sie damit nicht ihre Mißbrauchserfahrungen wiederholt?“ Das klingt nach angenehm liberalem Feminismus. Monika Veith: „Ich finde, daß wir von Anfang an sehr offen waren, mit den Frauen gemeinsam zu gucken, was sie sich wünschen. Wir haben keiner Frau, die von uns einen guten männlichen Therapeuten empfohlen haben wollte, das auszureden versucht.“
Wer sich im Frauentherapiezentrum therapieren lassen will, muß dafür Marktpreise bezahlen. Die Einzelstunde kostet 60 Mark und mehr. Mittellose Frauen brauchen in Ausnahmefällen aber nur 30 Mark bezahlen. Sieben Jahre Frauentherapiezentrum, das sind auch sieben Jahre Kampf um ABM-Stellen und Lotto-Mittel. Ein Kampf, der oft auf dem Rücken der Projektfrauen ausgetragen wurde, denn diese konnten es nicht verantworten, mit dem Auslaufen ihrer befristeten ABM-Stellen langfristig angelegte Therapien abzubrechen und opferten ihre Freizeit. Nur selten übernehmen Krankenkassen die Kosten. Angela Timm: „Nur die Hälfte der Frauen kann die Therapie bezahlen.Manche verzichten auf den Urlaub, lösen ihr Sparguthaben auf.“ Sie findet: „Unser Zentrum ist ein psychosoziales Angebot, das an sich kostenlos sein sollte.“
Barbara Debus
7.9. Vortrag von Monika Veith: „Feministische Therapie“, im Belladonna, Sonnenstr. 8 .
8.9. ab 16 Uhr (Garten-)Geburtstags-Fest mit Lesung, Bauchtanz und Tombola, Frauentherapiezentrum, Humboldtstraße 88.
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