Gesamtberliner Bahnkonzept 2010

■ Verkehrsplaner des Magistrats unterbreiten Vorschläge für das künftige Schienennetz Berlins / Neue U-Bahnlinie zwischen Weißensee und Mitte sowie zwischen Marzahn und Moabit gefordert / Sympathieerklärung für die Straßenbahn abgegeben

Ost-Berlin. „Berliner Bahnkonzept 2010“ könnte der Titel lauten, stattdessen heißt das Papier ganz nüchtern „Konzeptentwurf S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn“. Auf 23 Seiten haben Verkehrsplaner des Magistrats ihre Vorschläge für das künftige Schienennetz in Ost-Berlin und der Gesamtstadt notiert. Kernpunkte des Konzepts, das der taz vorliegt, sind neue U-Bahn-Linien zwischen Weißensee und der Stadtmitte und von Marzahn nach Moabit sowie ein Plädoyer für die Straßenbahn. Zur Stadtbahn ausgebaut, soll sie an vielen Stellen die heute schon kaum noch erkennbare Grenze zwischen den beiden Stadthälften überschreiten. Aus ökologischen und verkehrsplanerischen Gründen seien S-Bahn, U-Bahn und Straßenbahn „optimal geeignet“, die Verkehrsströme der Millionenstadt Berlin zu bewältigen, meinen die Konzeptverfasser aus der Behörde von Verkehrs- und Stadtentwicklungsstadtrat Clemens Thurmann (SPD). In ihrem Papier benennen sie die Bahnstrecken, dis bis zum Jahr 2010 aus- oder neugebaut werden müßten.

Schwerpunkt auf die Straßenbahn gelegt

Besonders große Sympathien haben die Magistratsplaner für die Straßenbahn. Dank der „langsamer verlaufenden Motorisierung in Ost-Berlin“ habe der öffentliche Nahverkehr hier immer schon „ein stärkeres Gewicht bei der Verkehrsentwicklungsplanung“ gehabt; anders als in West -Berlin wurde die Straßenbahn nicht dem Autoverkehr geopfert. Aber auch unter dem alten Regime sei zum Teil „sehr leichtfertig“ an die Abschaffung von Straßenbahnstrecken gedacht worden, meint Magistratsplaner Rolf Jacob. Alte Pläne sehen nach wie vor eine Stillegung der Straßenbahnlinien im Stadtbezirk Pankow vor, wenn die U -Bahn-Linie A erst einmal über den Bahnhof Vinetastraße hinaus bis zur Johannes-R.-Becher-Straße und dem Ossietzkyplatz ausgebaut ist. Die U-Bahn könne die drei verschiedenen Straßenbahnlinien nach Buchholz, Niederschönhausen und Rosenthal aber nicht ersetzen, meint Jacob - zumal die Rosenthaler Tram seiner Meinung nach eines Tages bis ins Westberliner Märkische Viertel verlängert werden könnte.

Die Magistratsplaner plädieren dafür, eine Reihe weiterer Straßenbahnlinien nach West-Berlin „vorzustrecken“. Das wäre „besonders vorteilhaft“, meinen die Planer - und machen damit Front gegen die zögerliche Haltung, die der Westberliner Verkehrssenator Horst Wagner (SPD) gegenüber der billigen und umweltschonenden Tram einnimmt. Auf alle Fälle sollte die Straßenbahnlinie 3 über den bisherigen Endpunkt an der Bornholmer Straße hinaus bis zum U-Bahnhof Osloer Straße verlängert werden, heißt es in dem Magistratskonzept. Außerdem werden, so das Papier, zwei Trassenverlängerungen von Treptow nach Neukölln „untersucht“: Aus Johannisthal zum U-Bahnhof Zwickauer Damm und aus Adlershof zum U-Bahnhof Rudow. Darüberhinaus sollte aber auch die Linie 4 von der Eberswalder Straße in Ost -Berlin bis zum Lehrter Stadtbahnhof in West-Berlin verlängert werden.

Die Bedenken, die Wagner unter dem Einfluß konservativer Senatsbeamter gegen diesen Plan erhebt, lassen die Magistratsexperten nicht gelten. Die Sandkrugbrücke am ehemaligen Übergang Invalidenstraße beispielsweise könnte „für ein paar Mark mehr“ so ausgebaut werden, daß Platz für die Straßenbahn sei, meint Jacob. Er wirft den Straßenbahnskeptikern in Ost und West einen Grundirrtum vor: Beim Thema „Straßenbahn“ könnten sie sich nicht vom jetzigen Erscheinungsbild der Tram in Ost-Berlin lösen. Stattdessen müßten sie den „Gedankensprung“ von den Tatra-Waggons zu modernen und geräumigen Stadtbahnen wie etwa in Karlsruhe machen.

Konsequenterweise plädieren die Magistratsplaner dafür, sich auch die grenzüberschreitenden Tramtrassen als Stadtbahnen vorzustellen, die auf eigenen Trassen und unbehindert vom Autoverkehr über die Schienen rauschen könnten. Auch innerhalb des bestehenden Netzes in Ost-Berlin wollen die Verkehrsplaner einige Linien auf Stadtbahn-Niveau bringen. In der Innenstadt müßten dafür „abschnittsweise“ auch Tunnel gebaut werden, am Stadtrand reichen nach Jacobs Meinung Ampelschaltungen, die der Tram die Vorfahrt garantieren.

Diese Straßenbahn auf Weltniveau schwebt Jacob vor allem für die Trassen zwischen Marzahn und der Innenstadt vor, also auf der Leninallee und der Allee der Kosmonauten. Darüberhinaus sollte aber auch die Linie 17 zwischen der Rhinstraße und Niederschöneweide zur Stadtbahn aufgerüstet werden, außerdem die Linie 4 auf dem Ring von der Warschauer bis zur Eberswalder Straße.

Weitere neue Straßenbahnen planen die Magistratsexperten vor allem „zur umfassenden Erschließung der Wohnungsbaustandorte Hellersdorf und Marzahn“. Daneben ist in Nord-Süd-Richtung die Verknüpfung der Stadtbezirke Köpenick und Hellersdorf sowie von Hellersdorf, Marzahn und Hohenschönhausen geplant.

Neue U-Bahn nach Weißensee

Relativ großen Raum in dem Magistratskonzept nimmt aber auch der vergleichsweise teure U-Bahn-Bau ein. Oberste Priorität, so Planer Rolf Jacob, habe hier natürlich die Wiederherstellung der U-Bahn-Verbindung über den Potsdamer Platz und die heute stillgelegte Hochbahnstrecke zwischen Gleisdreieck und Nollendorfplatz. Insofern sind die Planer im Einklang mit ihren Kollegen in West-Berlin. Geht es um den Neubau von U-Bahnen, setzen die Ostberliner jedoch andere Schwerpunkte - immerhin ist Ost-Berlin bisher mit Untergrundbahnen eher kärglich ausgestattet. Nicht die U -Bahn nach Lankwitz sei am vordringlichsten, sondern eine Linie F unter der Klement-Gottwald-Allee, die von Hohenschönhausen über Weißensee bis zum Alexanderplatz führen müßte. Von dort sollte der Tunnel, so der Vorschlag, unter dem Nikolaiviertel hindurch bis in die City-West vorgetrieben werden.

Auf Platz zwei setzen die Verkehrsplaner eine Verlängerung der U-Bahn-Linie E (Westterminologie: Linie 5) vom bisherigen Endpunkt Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor und dem Lehrter Stadtbahnhof, dem Standort des geplanten Zentralbahnhofs. Auch eine Anbindung der Moabiter Turmstraße und des Flughafens Tegel wäre denkbar. Damit, so heißt es in dem Konzeptentwurf, „verbindet sie als direkte Durchmesserlinie das Neubaugebiet Hellersorf im Osten mit der City (dem geplanten Hauptbahnhof) und der Industrie im Nordwesten der Stadt“. Schließlich können sich die Planer auch eine neue U-Bahn-Linie L unter der Leninallee vorstellen. Sie würde Marzahn mit der Stadtmitte und gegebenfalls auch mit dem Lehrter Stadtbahnhof verbinden. Diese alte U-Bahn-Planung könnte eine zur Stadtbahn ausgebaute Straßenbahn entbehrlich machen, meinen die Planer - sie verweisen auf die „Kostenexpansion“ beim U-Bahn-Bau.

Auch die S-Bahn wird in dem Papier nicht vergessen. Neben dem zweigleisigen Ausbau einiger bestehender Strecken schlagen die Magistratsplaner den Neubau einer Trasse zwischen Wartenberg, Karow und Buch vor.

Hans-Martin Tillack