Kein Tarifabschluß um jedem Preis

■ Erstes Arbeitgeberangebot bei Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst abgelehnt / Langwierige Verhandlungen

Ost-Berlin. Erstmals unterbreitete die Regierung der DDR als Arbeitgeberin gestern den Tarifparteien in der dritten Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst ein Angebot: eine Lohnerhöhung für die rund 1,6 Millionen Beschäftigten ab 1. September um jeweils 120 Mark sowie weitere 50 Mark ab Januar kommenden Jahres. Pro Kind soll ein Sozialzuschlag von monatlich 30 Mark gezahlt werden. Gelten soll dieses Angebot für den Zeitraum bis zum 30. Juni 1991.

In einer ersten Stellungnahme wertete die Vorsitzende der DAG-Tarifkommission für den öffentlichen Dienst der DDR, Sigrun Pilz, das Arbeitgeberangebot als „völlig unzureichend“. „Unzumutbar“ gar bezeichnete Verhandlungsführer Willi Hanss (ÖTV) das unterbreitete Gesamtvolumen. Es gebe keinen Abschluß um jeden Preis, so Hanss, die an den Warnstreiks beteiligten 150.000 Beschäftigten hätten in den vergangenen Wochen nachdrücklich ihren Durchsetzungswillen dokumentiert. Die Gewerkschaft ÖTV sowie die mit ihr kooperierenden 13 DDR-Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes fordern Lohn- und Gehaltserhöhungen in Höhe von 350 Mark, mindestens jedoch 30 Prozent rückwirkend zum 1. Juli sowie 50 Mark Sozialzuschlag für jedes Kind. Sollte dies nicht umgehend akzeptiert werden, so Hanss vor Verhandlungsbeginn warnend, behalte man sich umfangreiche Maßnahmen vor. Zur Zeit verdient eine Erzieherin im öffentlichen Dienst etwa 850, ein Schlosser im Dreischichtbetrieb bei den Stadtwerken etwa 1.400, eine OP -Schwester kann auf 1.500 Mark kommen.

Staatssekretär Franz Kroppenstedt vom Bundesinnenministerium, der zum erstenmal an den Verhandlungen teilnahm, bezeichnete das Angebot der Arbeitgeber erwartungsgemäß als einen „ersten Schritt, um die Tarifstrukturen im öffentlichen Dienst zu reformieren“. Im übrigen sagte er zu, daß die neuen Tarifverträge - sollte es in nächster Zeit zu einem Abschluß kommen - auch über den 3. Oktober hinaus Bestand haben werden.

Neben der Lohnerhöhung fordert die ÖTV auch den Schutz der Arbeitsplätze. Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst der DDR droht nach dem Beitritt zur BRD eine Entlassungswelle. Bei Redaktionsschluß dauerten die Verhandlungen noch an, ein Ergebnis wurde für die frühen Morgenstunden erwartet.

dpa/maz Siehe auch Seite 5