Bonn-Saiisierung nein danke

■ Do it again, Kraut - Berlin darf nicht Bonn werden

VON MATHIAS BRÖCKERS

Wegen Lärmbelästigung der Anwohner hat das Bezirksamt Kreuzberg den Kneipenwirten untersagt, ihre Gäste nach 22 Uhr an Tischen und Stühlen auf dem Bürgersteig zu bewirten. Wer direkt über oder in der Nähe einer solchen Open-Air -Lokalität wohnt und Frühaufsteher ist, mag diese Verordnung begrüßen, die Kneipiers indessen wollen sie nicht hinnehmen. Flugs haben sie Flugblätter gedruckt und eine Demo organisiert, Parole: „Berlin darf nicht Bonn werden“. Nun zeigt ein Blick auf den Kalender, daß sich die Kneipenfrage in wenigen Tagen von selbst erledigen und erst im nächsten Frühjahr wieder aktuell wird - für die heftig entbrannte Hauptstadt-Diskussion allerdings ist der Beitrag der Berliner Wirte von höchster Relevanz. Schließlich bilden sie, mit rund um die Uhr geöffneten Filialen an nahezu jeder Straßenecke, den mit Abstand dichtesten sozial -psychologischen Dienst aller deutschen Städte. Dabei mag man über ihre Malteser- und Aquavit-Hilfsdienste, den „Mens sana in campari soda„-Hirnhammer der Alkohol-Therapie, durchaus geteilter Meinung sein; was Kulturförderung, Partnervermittlung, Kommunikation, kurz: Lebenskultur betrifft, ist die Berliner Wirtschaft nicht nur eine nationale, sondern eine europäische Instanz. Und liegt schon deshalb völlig richtig: Berlin darf tatsächlich nicht Bonn werden.

Kürzlich widerfuhr mir das Schicksal, Bonn bei Nacht kennenzulernen. Für diese Erfahrung gibt es nur ein Wort: grauenvoll. Um zehn Uhr werden die Bordsteine hochgeklappt der unmittelbare Eindruck: In dieser Stadt ist in den letzten 2.000 Jahren außer Beethovens Geburt nichts Wesentliches passiert. Und es gibt keinerlei Anzeichen, daß sich das in absehbarer Zeit ändern könnte. Tote Hose ist in Bonn ein Euphemismus - zumindest von den Leichen -Feierlichkeiten müßte man irgendwas mitkriegen. Selbst in Frankfurt, wo den Leuten nach dem dritten Premium-Bier die Händler-und Krämerseele hochkommt und sie heim an den Sparstrumpf treibt, pulsiert, verglichen mit dem Bundeskaff Bonn, das volle Menschenleben. Frankfurt käme - zur Abwehr von Preußen, Protestantismus, Kommunisten und Kreuzberger Nächten - als deutscher Regierungssitz von daher sehr viel eher in Frage als die Schnarch-Zentrale am Rhein. Die im übrigen vor 40 Jahren bei der Hauptstadtwahl nur hauchdünn gewann, wobei die Person und Herkunft Adenauers den Ausschlag gab. Insofern dürfte es zu Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz recht eigentlich nur eine Alternative geben: Oggersheim/Ludwigshafen als Bonn der 90er Jahre.

Die strengen Vorbehalte, Berlin habe sich als Reichshauptstadt derart disqualifiziert, daß es schon aus Gründen der Großdeutschland-Prophylaxe als Bundeshauptstadt nicht in Frage kommt, zeugen von einem völlig falschen Verständnis der Ortsmagie, vom naiven Glauben, daß die Vergangeheit durch Tabuisierung des Ortes und durch Mahnmale und Museen - Totems und Götzenbilder - bewältigt werden könne. Es ist wie eine Art umgedrehter Cargo-Kult - so wie die Naturvölker dort, wo sie einmal ein Flugzeug landen sahen, Rollfeld, Fluglotsen, Funkgeräte simulieren und auf weiteren Segen vom Himmel hoffen, so will man in Berlin künftig den deutschen Terror in Gedächtnisstätten nachstellen, und hofft, daß er dadurch nie mehr wiederkommt. Eine derartige Faschismusbewältigung kann nur als primitiv bezeichnet werden, und von eben solcher Primitivität sind Vorbehalte gegen die alte und neue „Reichshauptstadt“.

Gerade weil der NS-Terror von der Zentrale Berlin ausging, muß es wieder Zentrale werden. Gerade weil es die Olympiade 1936 für seine finsteren Zwecke ausbeutete, muß noch einmal eine stattfinden; und wo die SA marschierte, auf den Straßen, muß wieder etwas los ein. Etwas, das mit Morden und Blutrausch nichts mehr zu tun hat, das die Vergangenheit erledigt, indem es sie aufgreift, nachspielt, besser macht. Mit Woody Allen zu sprechen: Do it again, Kraut. DO IT AGAIN, KRAUT - BERLIN DARF NICHT BONN WERDEN