: Die Untertanen der Zeit
■ Der FC Bayern München unternahm eine Abenteuerreise gen Leipzig
Leipzig (taz) - Der mächtige FC Bayern, reich, so reich, sportlich hierzulande ohnehin unantastbar, aber auch so, anders, irgendwie mächtig. Was der FC Bayern sagt, hat Gewicht. Wer will dem schon was anordnen? Der Sponsor natürlich. Und deswegen reiste der FC Bayern München nach Leipzig, rechtzeitig zur Messe, zur Unterstützung der Werbekampagne: „Kein Ostler fährt mehr Rostler. Wir sind ein einig Volk von Popeln!“
Erfreut war von dem Termin keiner bei den Münchnern, aber zwei Mal im Jahr muß die Mannschaft dem Geldgeber zur Verfügung stehen, so steht's im Vertrag. Und drum bricht Trainer Heynckes mit seiner Trainingskonzeption, ein Freundschaftsspiel gegen Lokomotive Leipzig folgt dem aufreibenden Bundesligaduell in Karlsruhe. Fast unmittelbar nach dem entscheidenden Elfmeter startet die kleine Expedition gen Osten. Nicht mit solch einem Gepäck wie anno '75, als der FC Bayern im Europapokal in die DDR reiste, selbst den dortigen Köchen mißtraute und in einem Anfall von überschwappender Heimatverbundenheit den eigenen Schmalznudelbäcker mitbrachte. So nicht, die Zeiten haben sich gewandelt.
Und wie! Uli Hoeneß kann kaum fassen, daß die Zollkontrollanlagen brach liegen auf dem Leipziger Flughafen. Etwas verlegen schauen alle drein, als eine junge und sehr hübsche Beamtin um einen Wimpel nebst Unterschriften bittet. So etwas haben sie nicht im Gepäck, aber nur einer, wirklich nur einer, ein Ersatzspieler darüberhinaus, leistet sich den erwarteten Scherz. („Sie soll doch ins Hotel kommen, da hätt‘ ich schon 'nen Wimpel.“)
Ein klitzekleiner Bahnhof erwartet die berühmten Männer aus dem Westen, vielleicht zehn, zwanzig Sammler bitten um Signaturen, also kein „begeisternder Empfang“, wie 'Bild‘ euphemisierte. Früher, da wäre das gewiß anders gewesen, da hätten sie ihnen nach Möglichkeit die Hemden vom Leib gerissen, wie damals bei der Meisterfeier in München kurz nach dem Mauerfall. Aber damals warb auch noch kein Helikopter-Service für seinen Zubringerdienst mit dem Sinnspruch „Die Zeit befiehlt's, ihr sind wir Untertan.“
Der FC Bayern hat keine Zeit; das Essen mit den Chefs und den Spielern von Lok Leipzig wartet im Hotel Astoria. Und die Rede des zuständigen Direktors. Der verwechselt ein wenig die Namen, nennt den FC Bayern den 1. FC Bayern (vielleicht, weil es der erste Club ist, dem er Millionenbeträge widmete), vergißt aber nicht, seinen tiefempfundenen Respekt den mutigen Bürgern der DDR gegenüber auszusprechen. Der Rest des Abends steht zur freien Verfügung.
Wer ihn nutzte in der Hotelbar, war anderntags der Mannschaftsaufstellung zu entnehmen. Die Weltmeister im Team paßten. Die begeisterten Massen aus Leipzig auch, 8.000 kamen zum Spiel und zur Automobil-Butterfahrt ins Bruno -Plache-Stadion. Tina Turner, zeitgleich im Zentralstadion, reizte wohl mehr.
Nach dem munteren Spiel und einem friedlichen 1:1 hob Trainer Heynckes die Bedeutung dieses Treffens hervor, dankte für die Gastfreundschaft, und das unfreiwillige Abenteuer Ost-Reise war fast beendet. Der nervenzerfetzenden Aussicht aus dem eigenen Bus auf Leipzigs verkommene Häuserzeilen („Wenn ich hier leben müßte“) entzogen sich die meisten durch munteres Kartenspiel. Und endlich saß man wieder im gecharterten Jet. „Die Flugzeit beträgt eine Stunde und zehn Minuten“, verkündete der Pilot. Dann man los, hier will keiner bleiben, kam zurück.
Irrtum. Hätten sie nur einmal hingeschaut. Alle drei Meter war auf Werbetafeln zu lesen, daß ein paar wackere Mitglieder des bundesdeutschen Einheitsblattes leidenschaftlich gekämpft hatten, damit „Robbi“, der Dackel, „hier bleiben darf“. Und auf dem Rückflug zitierte ein Spieler noch einen ganz kurz im Zweifel verhafteten Automobil-Manager: „Geht das nicht alles zu schnell? Das geht alles viel zu schnell.“
Helmut Schümann
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