Westeuropäische Interessen am Golf

■ In erster Reihe: Frankreich und Großbritannien / Die heutige Politik leitet sich aus der Konfiguration des Golfkrieges ab

Von Jochen Hippler

Bis in die dreißiger Jahre blieben europäische Interessen am Golf, die weitaus länger zurückreichen, eher marginal. Dann wuchs das westliche Interesse am Öl.

Bis in die sechziger Jahre existierte in der Region eine teils formelle, teils informelle Arbeitsteilung: Frankreich hatte nach dem Ersten Weltkrieg Syrien als Mandatsgebiet zugesprochen bekommen (wovon es bald den Libanon abtrennte), Großbritannien den Irak, Transjordanien und Palästina. Die Bindungen an die meisten Länder blieben relativ eng.

Großbritannien verfügte darüber hinaus seit dem 19. Jahrhundert über beträchtlichen Einfluß in den kleinen Scheichtümmern am Golf, insbesondere in Bahrein und Kuwait. Die USA hatten seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs enge Kontakte zu Saudi-Arabien aufgebaut - ob das Land ohne US -Hilfe lebensfähig gewesen wäre, ist offen - und unterhielten seit 1947 eine militärische Flottenpräsenz im Golf, die Mideastfor. Seit dem Ende der sechziger Jahre verschob sich das Gewicht in der Region immer mehr von Großbritannien hin zu den USA.

Heute erleben wir den zweiten großen Flottenaufmarsch im Golf mit Beteiligung westeuropäischer Länder - und das innerhalb von nur drei Jahren. 1987 waren in der Schlußphase des Golfkrieges bis zu 50 Kriegsschiffe aus Nato-Staaten im Golf gekreuzt, davon ein Drittel aus Westeuropa. Damals war es offiziell darum gegangen, die „Freiheit der Schiffahrt“ im Golf militärisch zu sichern - gegen den Iran. Zwar hatte der Irak den „Tankerkrieg“ begonnen und die US-Fregatte „Stark“ im Golf schwer beschädigt. Trotzdem stellte der Flottenaufmarsch damals eine multinationale Flankierung der irakischen Kriegsanstrengungen dar, da alle konkreten Aktionen gegen den Iran gerichtet waren.

Die Interessen der verschiedenen westeuropäischen Länder waren damals wie heute nicht identisch, es lassen sich aber in unterschiedlicher Gewichtung vier Aspekte nennen, die am stärksten in der französischen Politik hervortraten:

1. Hauptinteresse bestand darin, den Sieg eines revolutionären, islamischen Fundamentalismus in der Region zu verhindern. Der Sieg des Iran über den Irak würde zugleich die Stabilität der Regime feudaler Prinzen in der gesamten Südküste des Golf bedrohen, Saudi-Arabien eingeschlossen. Deren Sturz aber müßte eine Verminderung der politischen Einflußmöglichkeiten und ein Steigen der Ölpreise bedeuten.

2. Außerdem wurde während des Golfkrieges zunehmend deutlich, daß wie die USA (und die Sowjetunion) auch die westeuropäischen Länder kein Interesse daran hatten, daß eine der beiden Kriegsparteien sich eindeutig militärisch durchsetzen konnte. Beide geschwächt durch Krieg bedeutete hingegen ein Maximum an Einfluß in der Nachkriegszeit auf beiden Seiten, die westliche Hilfe benötigten, wodurch sich Chancen der „Mäßigung“ Irans und einer stärkeren Einbindung des Iraks ergäben.

3. Schließlich war der Golfkrieg ein nützliches Absatzgebiet für (insbesondere französische) Waffensysteme. Dieser Aspekt war den beiden vorgenannten deutlich nachgeordnet, aber doch vorhanden.

4. Darüber hinaus ging es darum, den USA nicht allein den Aufbau verstärkter Machtpositionen im Golf zu gestatten, sondern durch Partizipation an politischen, wirtschaftlichen und militärischen Maßnahmen die westeuropäische (vor allem französiche und britische) Stimme zur Geltung zu bringen. Eine Beeinflussung der US-Politik ohne eigenes Engagement wäre aussichtslos.

Demgegenüber war „die Sicherung der Ölversorgung“ ein nur fiktives Argument: Der Irak exportierte sein Rohöl ohnehin nicht durch den Golf, sondern durch die Pipelines in der Türkei und Saudi-Arabiens - und der Iran mußte sein Rohöl verkaufen und durch den Golf verschiffen, um den Krieg zu finanzieren.

Die skizzierte Interessenstruktur führte unter anderem zu einer informellen Arbeitsteilung im Bündnis: Frankreich unterstützte den Irak massiv mit Waffen und Krediten, die Bundesrepublik mühte sich, mit dem Iran gute Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Dies war sowohl in der EG als auch mit Washington abgestimmt. Eine völlige Isolation des Iran würde ihn ins sowjetische Lager zwingen, so die Befürchtung.

Die heutige Politik der westeuropäischen Staaten knüpft an die Interessenstruktur von 1987/88 an, orientiert sich aber an den neuen Umständen. Schließlich ist genau das eingetreten, was man damals vermeiden wollte: Eines der beiden Länder ist als eindeutiger Sieger aus dem Golfkrieg hervorgegangen, nämlich der Irak. Und er will das tun, was der Westen nicht will: die Früchte seines Sieges ernten und sich deutlich als Vormacht am Golf etablieren. Die Destabilisierung der ohnehin wenig stabilen Regime der Region ist ihm dabei nicht nur gleichgültig, sondern ein willkommender Aspekt.

Frankreich, Großbritannien und Westeuropa insgesamt (über die WEU) demonstrieren heute erneut ihren Anspruch, an der Seite der USA eine politische und militärische Führungsrolle einzunehmen und diese zur Stabilisierung des gesellschaftlichen Status quo in der Golfregion einzusetzen. Die Umsetzung der Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates haben dabei vorwiegend legitimatorischen Gehalt. (Teil 1 - US -Interessen im Golf, taz vom 20.8.)