Familiensinn

■ Ein Kindergarten, aber kein Seniorenheim für die US Open

PRESS-SCHLAG

Zum erstenmal bei einem Grand-Slam-Turnier gibt es auf der Anlage von Flushing Meadow einen Kindergarten. Eingerichtet wurde er keineswegs für Leute wie Jennifer Capriati oder Monica Seles, sondern vielmehr für die Kinder der Spielerinnen und Spieler. Zwischen fünf und zehn Nervensägen werden hier tagsüber vorbeigebracht, darunter die Kinder von Ramesh Krishnan, Laura Gildemeister und Robert Seguso.

Brad Gilbert hatte im vergangenen Jahr angeregt, einen Raum und Personal für den Sportlernachwuchs bei den US Open zur Verfügung zu stellen. Somit können die Tennisspieler etwas beruhigter ihre Ehepartner nebst Kindern mitnehmen. In diesem Jet-Set-Sport sieht man sich als Familie ja ohnehin viel zu selten. Die Veranstalter des Turnieres haben also einen ganz netten Beitrag zur Milderung dieses Problems geleistet.

Im Tenniszirkus gibt es aber bekanntlich nicht nur filzballschlagende Eltern, die mit ihren Kleinkindern auf Reisen gehen; immer häufiger sind es ja Kleinkinder, die Tennis spielen und ihre Eltern mitschleppen. Aber noch ist man in New York nicht so weit, ein Seniorenheim einzurichten. Vermutlich wird man dies auch gar nicht benötigen, denn viele Eltern zählen zu den witzigsten und beliebtesten Sympathieträgern.

So zum Beispiel der Herr Papa von Fräulein Seles. Er spricht so gut wie kein Wort englisch, was schon einmal bedeutet, daß man sich mit ihm nicht besonders gut streiten kann. Aber auf Streit, so scheint es zumindest, ist dieser Mann überhaupt nicht aus.

Im Gegenteil: Als sein Töchterlein auf dem Center Court von einer gewissen Linda Ferrando ziemlich überraschend nach Hause geschickt wurde, schien selbst Papa Seles begeistert. Er klatschte ständig nach guten Ballwechseln, egal, wer denn nun den Punkt machte. Und am Ende gar, als das Match entschieden war, stand er auf und gab stehende Ovationen für die Siegerin, die zur Abwechslung einmal nicht Monica Seles hieß.

Diese Geste ist zumindest im Tennissport eine Seltenheit und verdient Anerkennung. Denn: für sehr viele Spielerinnen und Spieler - und erst recht für viele Eltern - bemißt sich der Wert eines Menschen in erster Linie nach dem Weltranglistenplatz. Karolj Seles gehört nicht dazu. Gelobt sei sein kindliches Gemüt.

Ralf Stutzki