Zirkus, Kunst und Profi-Sport

■ Zweieinhalbtausend Jongleure und Jongleusen beim Europäischen Festival in Oldenburg

Aus Oldenburg Andreas Hoetzel

Die Sporthalle der Uni Oldenburg ist hoffnungslos überfüllt. Jedes freie Plätzchen wird genutzt, um auf dem Einrad zu balancieren, das Diabolo in der Luft tanzen zu lassen oder Bälle, Reifen und Tücher durch die Gegend zu wirbeln. Mittendrin sind zwei dabei, das Passen mit acht Keulen zu üben. Mit wenig Erfolg.

Bis einer vorbeikommt, dessen Äußeres das Auge irritiert. Ungesunde Gesichtsfarbe, viel zu lange Haare, die das Alter, das sie eigentlich verbergen sollen, nur noch offensichtlicher werden lassen. Eingezwängt in einen hautengen gräßlich-blauen Gymnastikanzug, abgesetzt mit weißen Rüschen. Der kommt und sagt, so geht das nicht. Keine Chance. Und erklärt am eigenen Körper, welche Technik das 8 -Keulen-Passing verlangt.

Das Ereignis bleibt ein flüchtiger Moment, die Fachsimpelei ist einseitig. Nicht weil die einen deutsch sprechen und der andere russisch redet. Eher weil der Respekt vor dem Genius nur andächtiges Lauschen zuläßt. Einmal von Sergej Ignatow en passant den entscheidenden Tip bekommen zu haben, das ist für manche Jongleure mehr als eine persönliche Anekdote. Und für das 13. Europäische Jonglier-Festival eine der bleibendsten Erinnerungen: daß so einer wie Ignatow, der ungekrönte König der Jongleure, der erste Mensch, der elf Ringe in der Luft hielt und seit zwanzig Jahren die Maßstäbe setzt, der Star des Moskauer Staatszirkus, sich vier Tage unters Volk mischt, mit all seinen Attituden, aber auch gespannt und neugierig auf die ungewohnte Atmosphäre des weltgrößten Treffens der Jonglier-Szene.

Zweieinhalbtausend Familienmitglieder kamen aus aller Welt, aus Europa sowieso, aus den USA, Mexiko, Brasilien oder Japan. Eine illustre Gesellschaft, die das Flair des Wir -Gefühls in vollen Zügen genießt und deshalb sehr unwirsch auf die zunehmende Größe und Kommerzialisierung der Festivals reagiert. Eine Szene aber auch, deren Heterogenität in der Art, wie sie das Jonglieren begreift, immer deutlicher wird. Nach Oldenburg kamen, ein Verdienst des veranstaltenden Vereins zur Förderung des Freizeitsports, auch die Pole des Spektrums.

Die traditionellen Zirkusartisten des Ostens, in den staatlichen Schulen zum technischen Jongleur ausgebildet, die im Glitzerkostüm auftreten und sich von der mitreisenden Ehefrau, als Dekoration entkleidet, mit einem artigen Knicks die Keulen reichen lassen. Dann die Avantgardisten, wie das Trio Air Jazz aus den USA, die sich von der Faszination des Schwierigkeitsgrades gelöst haben, Elemente des Jonglierens in das mit Gegenständen operierende Tanztheater integriert haben: „Jonglieren ist sichtbar gemachte Musik“, sagt Kezia Tenenbaum, eine der drei Air-Jazzer.

Und dazwischen die stattliche Anzahl der mehr oder minder gutverdienenden Straßenjongleure, die mit Stand-Up-Comedys, mit komischer Jonglage und artistischen Mätzchen (wie dem sieben Meter hohen Einrad) über Land tingeln.

Für die Mehrheit aber der in Oldenburg anwesenden Jongleure und Jongleusen wird es keine professionelle Zukunft geben. Sie werden nie im Zirkus auftreten, nicht auf Tour gehen und auch keinen Long-Distance-Wettbewerb gewinnen. Ihre Ausdauer, ihr Enthusiasmus, mit dem sie vier Tage und Nächte zwischen Zelten, neben Frühstückstellern, über Schlafenden jongliert haben, muß etwas mit der Faszination der Kunstfertigkeit, nicht der Technik zu tun haben.

Dave Finnigan, der pädagogische Papst der Szene: „Du lernst, daß Du lernst. Viele Leute glauben, daß sie nie Jonglieren lernen. Dann lernen sie es und glauben mehr an sich. Und das nächste Mal, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, sagen sie nicht mehr: Ich kann das nicht, sondern, vielleicht ist es ja wie jonglieren. Zuerst dachte ich, ich kann es nicht, und jetzt bin ich ein Jongleur.“

Ob solcherlei Lebensphilosophie allerdings die Jonglierszene weiterhin zusammenhalten kann, ist angesichts der amerikanischen Trends auch hier ungewiß. In den USA gibt es längst das Joggling als Hochleistungssport. Wettkämpfe und Preisgelder in Disziplinen wie dem 100-Meter-Jonglier -Sprint, der 4 x 400 Meter Jonglier-Staffel oder dem 5 Kilometer Jonglier-Lauf.

Auf den europäischen Festivals ist man zwar versucht, solche Entwicklungen nicht aufkommen zu lassen. Wettbewerbe sind trotzdem fester Bestandteil der Treffen. Einrad-Hockey, Long-Distance-Passing oder die Limbo-Konkurrenz für Diabolo -SpielerInnen haben neben aller Ernsthaftigkeit immer noch etwas Spielerisches. Aber beim Wettkampf „Wer kann am längsten mit fünf Bällen jonglieren“ wird auch die interne europäische Rangliste ausgespielt.

Michiel Hesseling, der solche Wettbewerbe in schöner Regelmäßigkeit gewinnt, ist sich aber sicher, daß er nie Jonglieren als Hochleistungssport betreiben wird: „Zu fanatisch“. Enrico Rastelli hätte es mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Das Mysterium der Jonglage auf eine profane Tartanbahn zu verlegen - welch unerhörtes Sakrileg.