Das Bündnis und seine Unterschiede

■ Die Bürgerrechtsbewegung der DDR über ihre Rolle im gesamtdeutschen Parlament Nach der ersten öffentlichen Auseinandersetzung mit den West-Grünen

Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - „Das Bündnis steht“, das war die Botschaft, die gestern Marianne Birthler, Wolfgang Templin und Jens Reich, die Vertreter der DDR-Bürgerbewegung also, im Haus der Parlamentarier in Ost-Berlin verkündeten. Jens Reich war überzeugt, daß auch die Landesverbände des „Neuen Forums“ diesem Bündnis zustimmen werden. Zugleich ging es aber bei der öffentlichen Stellungnahme darum, die Erfahrungen der ersten öffentlichen Auseinandersetzung mit den West-Grünen, die am Wochenende in Bonn und Kassel gemacht wurden, zu benennen und die Rolle der DDR -Bürgerbewegung in der künftigen deutschen Opposition zu reflektieren.

„Die Bürgerbewegung und die Grünen haben sich nicht nach Artikel 23 vereinigt. Es gab keinen Anschluß“, betonte die Fraktionssprecherin des Bündnis 90, Birthler. Die Unterschiede zu den BRD-Bürgern „werden noch eine große Rolle spielen“, meinte sie. Die Unterschiede seien aber gerade die politische Attraktivität des Bündnisses: „Wir werden nicht unisono sprechen. Die politischen Herausforderungen sind so groß, daß man den Streit braucht“ (Birthler). Mit großer Zurückhaltung wurden die Schwierigkeiten mit den Grünen-West benannt: „Sprachprobleme, unterschiedliche Erwartungen“ sah Wolfgang Templin voraus. Er kandidiert auf der NRW-Landesliste, im Wahlkreis Lippe in Westfalen. Die Erwartungen, daß sie die politische Landschaft bereichern würden sei sehr hoch, zu hoch. Er befürchte eine „Überforderung“ durch diese Hoffnungen.

Andere kritisierten die Realitätsferne der Diskussionen der West-Grünen. Marianne Birthler meinte, das Frauenthema sei im Westen „eine Bekenntnisfrage“, im Osten eine „soziale Herausforderung.“ Wolfgang Templin ging auch davon aus, daß die lange Erfahrungsgeschichte mit der realsozialistischen Diktatur nicht ohne Mühe den Westgrünen zu vermitteln sei.

Vera Wollenberger, die Sprecherin der DDR-Grünen, die an dem Gespräch teilnahm, glaubt, daß sie mit ihren DDR -Erfahrungen auch eine „Auseinandersetzung mit der K-Gruppen -Vergangenheit der West-Grünen“ provozieren würden. „Es wird sich aussortieren, was nicht zusammengehört.“ Schließlich gebe es auch die Listenverbindung Linke Liste/PDS. Aber Templin dachte nicht nur in den Kategorien des politischen Diskurs. Ihm zufolge geht es auch um materielle Dinge. Die DDR-Vertreter im gesamtdeutschen Parlament - Jens Reich setzte den denkbaren DDR-Anteil im „großdeutschen Parlament“ fürs Bündnis mit etwa zwölf Abgeordneten an - brauchen auch ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter, meinte Templin.

Die gemeinsame Plattform jedoch schätzten alle als ein notwendiges Übel ein. Für Jens Reich zeichnet sich unter dem Zeitdruck das anstehenden Wahlkampfes ohnehin ein „unguter Prozeß der Professionalisierung“ ab. Man schlage sich mit Formeln herum, während es viel wichtigere Dinge gäbe: In der DDR „zerbrechen gegenwärtig massenhaft Lebenspläne“. Die Sicherheiten vom Krippenplatz bis zum Arbeitsplatz sind verschwunden. Die Menschen stünden in der existentiellen Alternative zwischen dem Wegwurf ihres bisherigen Lebens oder dem Rauswurf. Das seien die wirklichen Aufgaben für sie im neuen Parlament - diese existentiellen Probleme zum Thema zu machen. Jens Reich erwartet da von den Westdeutschen generell wenig Bereitschaft, sich vorzustellen, was mit den Menschen in der Noch-DDR geschieht.