Aufstand der Kommunen gegen Stromvertrag

■ Stadt und Bezirk Rostock bereiten eine Verfassungsklage gegen kalte Enteignung der Kommunen in der DDR vor / Kommunen sollen um lukrative Energieversorgung kämpfen / Einigungsvertrag schiebt dem Aufbau kommunaler Stadtwerke Riegel vor

Von Gerd Rosenkranz

Ost-Berlin (taz) - Der monatelange Streit um die Energiezukunft auf dem Territorium der DDR ist nach der Unterzeichung des Stromvertrags mit den Westkonzernen RWE, PreussenElektra und Bayernwerk noch lange nicht begraben. In einem dramatischen Appell rief gestern der Vorsitzende des Umweltausschusses der Volkskammer und Abgeordnete der Grünen, Ernst Dörfler, Oberbürgermeister und Landräte in der DDR auf, bis zum 20. September die kostenlose Übertragung des energiewirtschaftlichen Vermögens auf ihrem Gebiet zu beantragen. Der Aufbau einer kommunalen Energieversorgung werde darüber entscheiden, ob eine Stadt in den kommenden zwanzig Jahren zu den armen oder den reichen Kommunen zählen werde.

Daß Dörfler mit seinen Beschwörungen in vielen Städten der DDR offene Türen einrennt, bewies der bei der von der Fraktion Bündnis 90/Grüne organisierten Pressekonferenz anwesende Rostocker Bürgerschaftsabgeordnete Wolfgang Schultz. CDU-Mitglied Schultz kündigte eine Verfassungsklage der Stadt und des gesamten Bezirks Rostock beim Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe an, falls der Stromvertrag und eine entsprechende Klausel im deutsch -deutschen Einigungsvertrag wie vorgesehen umgesetzt werde. Rostock werde die Baugenehmigung für ein von PreussenElektra auf ihrem Gebiet geplanten 500-Megawatt-Heizkraftwerk nur bei Beteiligung der Stadt erteilen. Die Tragweite einer für die künftige Energiewirtschaftsstruktur entscheidenden Regelung in der Anlage 2 des Einigungsvertrages sei hinter der „wichtigen Auseinandersetzung um den § 218“ verschwunden, klagte Dörfler. Mit dieser Einschränkung wird das Anfang Juli in der Volkskammer ohne Gegenstimmen verabschiedete Kommunalvermögensgesetz ausgehebelt, wonach die Gebietskörperschaften bei der Treuhandanstalt Anspruch auf die volle Übernahme aller Energieanlagen und Netze erheben können. Der Einigungsvertrag beschränkt die Komunen nachträglich auf eine anteilige Beteiligung von maximal 49 Prozent. Damit wäre dem Aufbau autonomer Stadtwerke ein Riegel vorgeschoben.

Dörfler nannte die Bestimmung eine „Enteignung und Entrechtung der Kommunen für mindestens zwanzig Jahre“. Seine Fraktion werde in der Volkskammer eine Fristverlängerung für die Übernahme der Anlagen in kommunale Hand nach dem KVG beantragen. Enttäuscht sei er nicht nur von der CDU in der DDR, die das KVG mitverabschiedet hatte, sondern auch von der Haltung der Bonner SPD-Spitze. Die hatte den Streit zwar zum Gegenstand der Diskussionen über den Einigungsvertrag mit Kanzler Kohl gemacht, dann aber klein beigegeben. Dörfler will dem Vertrag nicht zustimmen. Er erinnerte die Oberbürgermeister und Landräte daran, daß sich der Aufbau von eigenständigen Stadtwerken in über 700 Kommunen der Bundesrepublik als „zuverlässige Einnahmequelle“ erwiesen habe, mit der defizitäre Bereiche wie Nahverkehr oder Wasserversorgung aufgefangen werden könnten. Nur eine moderne und ökologische Energieversorgung auf kommunaler Ebene sei in der Lage, einen erheblichen Beitrag zu der international geforderten Reduzierung des Treibhausgases Kohlendioxid zu leisten. Bisher hätten rund 150 Städte Anträge zur Übernahme der Energieanlagen nach dem KVG gestellt. Einer Verfassungsklage werden Chancen eingeräumt, da den Kommunen auf DDR-Terrotorium nicht vorenthalten werden könne, was in der BRD Praxis sei.