Auf, auf, zur Schlacht!

■ Nicht nur in Kosovo gärt es: Während die Serben in Kroatien autonom sein wollen, haben die Muslimanen in Bosnien Angst und die Mazedonier kämpfen gegen alle

„Palenta (eine Art Maisbrei) kocht nie über“, heißt ein altes balkanisches Sprichwort und soll die Gutmütigkeit, aber auch die Trägheit der Südslawen unter Beweis stellen. Vielleicht liegt es auch wirklich nur an diesem Charakterzug, schreibt die Sarajevoer 'Oslobodjene‘, daß in diesen Tagen in Jugoslawien kein Blut fließt. Denn überall verschärfen sich die Konlflikte: in Kosovo, in Bosnien, in Knin (Kroatien) und Mazedonien. Manche Jugoslawen erinnern sich heute an 1914, als der serbische Nationalist Gavrila Princip seine tödlichen Schüsse auf den Thronfolger Österreich-Ungarns abfeuerte, die den Ersten Weltkrieg auslösten. Denn in der Tat ist eine Vor-Bürgerkriegsstimmung in vielen Landesteilen schon auszumachen.

Nur einen Tag nach dem Generalstreik der Kosovo-Albaner behauptet die serbischsprachige Tageszeitung von Kosovo, die 'Jedinstva‘, die Albaner übten sich nur in der „Ouvertüre des bewaffneten Aufstandes“. Der kroatische Zagreber 'Vjesnik‘ konstatiert dagegen, die zwei Millionen Albaner Jugoslawiens befänden sich „im passiven Widerstand“ gegenüber den aggressiven Putschplänen des von Serben überbesetzten Generalstabs der Armee und dem „Expansionsdrang der serbisch-orthodoxen Kirche“. Die bereits erwähnte 'Oslobodjene‘ sieht die Gefahren von Süden und Norden auf Sarajevo heraufziehen, niemandem sei zu trauen, den Serben nicht, den Albanern nicht und ebensowenig dem kroatischen Volk. Ganz im Süden der Vielvölkerföderation, in Mazedonien, meint die 'Nova Makedonia‘ herausgefunden zu haben, es könnte zu einem gemeinsamen Angriff der Serben und der Albaner auf ihr Völkchen kommen.

Sicher steht der Kosovo-Konflikt als erstes in den Schlagzeilen. Doch schon lange nicht mehr ist dieser Streit allein eine Erschütterung für Jugoslawien. Während in Kosovo am Montag die Arbeit vollkommen ruhte, streikte in der serbisch besiedelten zu Kroatien gehörenden Enklave Knin die serbische Bevölkerung. An der Überlandstraße zwischen Zagreb und der dalmatinischen Küste spielten selbst Greise und Kinder „Krieg“. Wer nicht die serbische Abstammung nachweisen konnte, durfte nicht passieren. In der Gegend von Knin plünderten am Wochenende serbische Jugendliche Polizeistationen und fanden, so meldet es nun das kroatische Fernsehen, Waffen, die eine ganze Bataillon ausrüsten könnte. Woher so viele Waffen in einfachen Polizeistationen kommen, weiß niemand zu sagen. Die serbische Minderheit in Kroatien übt sich im Augenblick in dem , was sie „ihrer“ Minderheit, den friedlich protestierenden Albanern in Kosovo, vorwirft: Im bewaffneten Aufstand. In Belgrad macht die serbische Führung kein Hehl aus ihrer Haltung. Würden den Serben in Kroatien keine „autonomen Gebiete“ gewährt, könne man „für nichts mehr garantieren“, so Präsident Milosevic. Anstatt sich mit dem allerdings mehr als problematischen Volkstribun an einen Tisch zu setzen, blieb auch Kroatiens Präsident Franje Tudjman hart: „eine territoriale Autonomie der Serben in Kroatien kommt nicht in Frage“.

Weiter südlich, im bosnischen Sarajewo, fürchten die Muslimanen - das sind Moslime slawischer Abstammung - um ihre Eigenständigkeit. Sowohl Serben wie auch Kroaten sehen in den zwei Millionen Muslimanen irregeleitete Blutsbrüder und leiten daraus territoriale Ansprüche ab. Doch die Muslimanen wollen weder vom kroatischen noch serbischen Nationalismus etwas wissen und pochen auf ihre eigene Identität.

Auch bei den Mazedoniern gärt es. Seit die „Innermazedonische Revolutionäre Organisation“, die IMRO, wieder aktiv ist, werden die nationalistischen Töne auch hier immer schriller. Die Organisation, die 1893 ins Leben gerufen wurde, machte damals mit Bombenattentaten auf sich aufmerksam und führte einen Krieg gegen alle Nachbarn, die Griechen, die Albaner, die Serben und Bulgaren. In den letzten 50 Jahren verschwunden, stellt sie jetzt ihre alten Forderungen. Und die verheißen nichts Gutes: Großmazedonien fordert von allen Nachbarn Land. Die 400.000 in der Republik lebenden Albaner sollen nach Kosovo umgesiedelt werden. Da die serbischen Nationalisten die Albaner aus dem Kosovo werfen wollen, geraten die Mazedonier nun in einen scharfen Konflikt mit Belgrad.

Roland Hofwiler