Generalstreik gegen Belgrad

■ Seit drei Jahren beschneiden die serbischen Nationalisten die Rechte der albanischen Mehrheit in Kosovo immer weiter. Im Frühjahr wurde der Provinz die Autonomie genommen, in den letzten Wochen verloren 20.000 AlbanerInnen aus ethnischen Gründen ihre Jobs. Seit Montag wird nun dagegen gestreikt.

In Kosovo:

In den Straßen und Gassen der Städtchen und Dörfer Kosovos ist Stille eingekehrt. Seit am Montag der Generalstreik begonnen hat, stehen tatsächlich alle Räder still. Die Läden haben geschlossen, und die Schulkinder sind zu Hause geblieben. Selbst in Pristina, der Hauptstadt der ehemaligen autonomen Provinz in Serbien, zeigen sich nur vereinzelt Passanten. Über 90 Prozent der Bevölkerung in Kosovo sind AlbanerInnen. Und sie nehmen geschlossen an dem Streik teil. Diszipliniert, ruhig, ohne die serbische Staatsmacht und deren Miliz mit unüberlegten individuellen Aktionen zu provozieren.

Diese Ruhe ist beeindruckend. In ihr drückt sich ein unbeugsamer Wille aus, der sich aus der Trauer um die allein in den letzten eineinhalb Jahren ermordeten fünfzig AlbanerInnen wie aus der Erfahrung vielfältiger Repression speist. Obwohl die serbische Parteiführung unter Slobodan Milosevic seit 1987 den Konflikt in Kosovo verschärfte und daranging, scheibchenweise die individuellen wie staatlichen Rechte der albanischen Bevölkerung einzuschränken, - im Frühjahr dieses Jahres wurde auch das Autonomiestatut abgeschafft -, hat die albanische Bevölkerung auf militante Gegenwehr verzichtet. Sie ging aber daran, ihre eigenen, demokratisch verfaßten Organisationen aufzubauen. Sie organisierte sich in der populistischen „Demokratischen Union“, der im politischen Spektrum links stehenden „Sozialdemokratischen Partei“ und den unabhängigen Gewerkschaften, die nun im Streik ihre Handlungsfähigkeit beweisen.

Es geht also um mehr als um die klassischen Gewerkschaftsforderungen. 20.000 in den letzten Wochen entlassene AlbanerInnen sollen, so die Hauptforderung, wieder eingestellt werden. 20.000 Entlassene bedeuten 20.000 Mal den Einkommensverlust großer Familien. Und sie bedeuten, daß ganze Bereiche der Wirtschaft und Verwaltung - man verzeihe die Sprache, aber sie trifft in diesem Fall wirklich - „albanerfrei“ gemacht worden sind. Ob Arbeiter, Ärzte, Professoren oder Schullehrer, ob Polizisten, Journalisten oder Verwaltungsangestellte: Jede einzelne Entlassung wird von der albanischen Bevölkerung als ein Versuch der Demütigung und Unterwerfung verstanden.

Teuta war bis letzte Woche in einem Textil- und Lederkombinat angestellt. Drei Monate lang hatte sie keinen Lohn mehr ausgezahlt bekommen. In ihrem Betrieb wurden einzelne KollegInnen von der Miliz herausgegriffen, über Stunden festgehalten, verhört, und, wie sie berichtet, geschlagen. Agim verlor seine Stelle, weil er sich weigerte, eine Erklärung zu unterschreiben, mit der er sich zur Zusammenarbeit mit den serbischen Behörden verpflichten sollte. Von anderen Kollegen wurde verlangt, die Verfassungserkärung der albanischen Mehrheit des Parlaments von Kosovo förmlich zu mißbilligen, in der die Wiederherstellung der Autonomie gefordert wird.

Auf diese und noch andere Weise werden viele zum „freiwilligen“ Ausscheiden aus dem Betrieb gezwungen. Diese „Freiwilligen“ haben sich bei ihren Landsleuten Respekt verschafft, wie die 1.500 Polizisten, die im Sommer geschlossen ihren Dienst quittierten.

In Kosovo, jetzt schon Armenhaus des nicht gerade reichen Jugoslawiens, ist die medizinische Versorgung miserabel. Doch was jetzt geschieht, verschlägt die Sprache. Viele albanischstämmige Ärzte mußten ihren Dienst quittieren. Für sie sind Serben nachgerückt. Zum Beispiel in die Abteilung Gynäkologie des Krankenhauses von Pristina. Mit den Ärzten verließen die albanischen Patientinnen das Krankenhaus, als ruchbar wurde, daß Ärzte der berüchtigten serbisch -nationalistischen Organisation Bozur eingestellt wurden. Auch in Peja sind am vergangenen Samstag selbst schwerkranke Patienten von Verwandten aus dem Krankenhaus geholt worden, weil sie vor den nachrückenden serbischen Ärzten Angst bekommen haben.

Ist das wirklich nur Hysterie? Tatsache ist, daß sogar die Medikamente des Katholischen Nonnenheims von Binca am 4. August durch Milizionäre konfisziert wurden. In der Katholischen Kirche von Urosevac - ein Teil der mehrheitlich muslimischen albanischen Bevölkerung ist christlich, auch katholisch - wurden ebenfalls Medikamente beschlagnahmt.

Jede neue Maßnahme der serbischen Regierung schafft wieder Gründe für den Streik. Seit Samstag morgen ist in Pristina die wöchentlich erscheinende Zeitung 'Zeri i rinise‘ (Stimme der Jugend) nicht mehr zu haben: beschlagnahmt. Am selben Nachmittag kommt die Nachricht, daß die Spendengelder beschlagnahmt worden sind, die es möglich machen sollten, daß Radio-Television Pristina nach der Auflösung der Redaktion und der Entlassung des albanischen Direktors auf privater Basis weiterarbeiten kann. Der neue serbische Direktor hatte die Guthaben der Sendeanstalt einfach auf eine Belgrader Bank überwiesen.

Das kosovoalbanische Informationssystem wird systemaisch unterhöhlt. Die ehemalige kommunistische Parteizeitung 'Relindja‘, die eine Tageszeitung war, ist schon seit mehr als vier Wochen verboten. Zeitungen und Magazine die 'Shkendija‘ für das Erziehungswesen oder das Familienmagazin 'Kosovorja‘ versuchen, ihre Funktion zu übernehmen. Doch auch ihr Verbot ist abzusehen.

An dem Montag begonnen Generalstreik könnte das Schicksal Kosovos, vielleicht sogar Jugoslawiens hängen. Denn wenn den Forderungen nicht nachgegeben wird, will die Mehrheit der Bevölkerung nicht nur eine Woche, wie jetzt noch proklamiert, sondern unbefristet streiken. Und dieser Wille könnte auch in den anderen Republiken Jugoslawiens zu einer politischen Dynamik führen, die, so jedenfalls hoffen es die Albaner, endlich der serbischen Politik Schranken setzt.

Von den kosovoalbanischen politischen Parteien kommen aber auch warnende Stimmen: In der Politik müsse man noch eine Trumpfkarte im Ärmel haben, wenn die letzte Karte nicht genügt. Der Steik dürfe nur letztes Mittel sein. Er könne, so meinen sie, auch zum Vorwand dienen, nun alle albanischen ArbeiterInnen zu entlassen. Vielleicht ist dieser Standpunkt richtig. Doch die Mehrheit will jetzt ein Ende der Unterdrückung erzwingen.

Lore Draht/er