Angriff auf die Meinungsfreiheit

■ Oder warum die Privatfunker meinen, im Osten zu kurz zu kommen / Anmerkungen zu einer medienpolitischen Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung

Von Ute Thon

Soviel ist klar. Wenn in diesen Tagen über die Neustrukturierung der deutschen Medienordnung geredet wird, geht es in erster Linie um die Sicherung von Marktanteilen, um politische Einflußnahme, um Überlebensstrategien - und sehr viel weniger um konkrete Inhalte oder ein neues Demokratieverständnis, obwohl auf den einschlägigen Hearings beständig Begriffe wie „Informationsfreiheit“ und „Meinungsvielfalt“ durch die Kongreßräume geistern. So auch auf jener medienpolitischen Tagung, zu der die Konrad -Adenauer-Stiftung am Montag in den Berliner Reichstag geladen hatte.

Im komplizierten deutsch-deutschen Einigungsprozeß gibt es neben vielen anderen Schwierigkeiten ein kleines Problem, auf das die CDU-nahe Stiftung das Augenmerk der interessierten Fachöffentlichkeit lenken wollte: die privaten Rundfunkanbieter. Stein des Anstoßes ist Artikel 36 des unter heftigen Geburtswehen entstandenen Einigungsvertrages. Dort nämlich wird in groben Zügen die Überleitung des DDR-Rundfunksystems in ein bundesweit kompatibles Modell geregelt. Konkret: DDR-Fernsehen und Rundfunk sollen zunächst als öffentlich-rechtlicher Ostdeutscher Rundfunk etabliert und bis spätestens 1991 endgültig in die Hoheit der Länder überführt werden. Alles weitere sollen die zukünftigen Länder in eigenen Landesmediengesetzen regeln. Wie in der BRD eben.

Doch in besagtem „Medienüberleitungsgesetz“ taucht der Begriff „privat“ gar nicht auf. Kein Wunder eigentlich, denn bislang gab es in der Noch-DDR keinen Privatfunk und somit auch keinen Regelungsbedarf. Trotzdem oder besser gerade darum befürchten die Vertreter der Privaten jetzt, zu lange auf die Zuteilung einer begehrten DDR-Frequenz warten zu müssen. Denn bis sich die Länderparlamente gebildet und dann entsprechende Gesetze verabschiedet haben, das kann noch eine Weile dauern. Und Zeit haben die Privaten nicht, denn Zeit ist bekanntlich Geld.

Bernhard Vogel, ehemaliger rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und Vorsitzender der CDU-nahen Stiftung, strapazierte als erster in seiner Eröffnungsrede das hohe Gut der Meinungsfreiheit, um dann nachdrücklich die Zulassung der privaten Rundfunkanbieter in der DDR zu fordern. Dann durfte sich die Privatfunklobby an der Seite ihres Spezies Bernd Neumann, medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im Reichstag mal wieder so richtig ausheulen und die Ungerechtigkeit der Medienwelt beklagen, die ihnen, die in der fünfjährigen bundesdeutschen Privatfunkgeschichte gezeigt haben, was in ihnen steckt man schreibt dieses Jahr erstmals schwarze Zahlen bei RTL und SAT.1 - ihre Zugangsberechtigung ins rundfunkpolitische Entwicklungsgebiet DDR verweigert. Und das, wo gerade ihre Anwesenheit erst echte Meinungsfreiheit brächte und noch jede Menge Arbeitsplätze dazu.

Als strammer DSU-Mann hatte Jürgen Schwarz, Vorsitzender des Volkskammerausschusses „Presse und Medien“, denn auch eine Lösung für die Sorgen seiner Privatfunkfreunde parat. Noch in der kommenden Woche wolle er in der Volkskammer ein „Ausformungsgesetz“ zu Artikel 36 des Einigungsvertrags einbringen, das eine befristete Frequenzvergabe an private Rundfunkanbieter ermögliche. Mit dem Gesetz wollten dessen Macher Zeichen setzen für das duale Rundfunksystem. Der Mainzer Medienrechtler Reinhart Ricker sah in diesem Vorchlag denn auch die „einzige Hoffnung“ für die rechtzeitige Installierung des dualen Systems in der heutigen DDR. Wenn man private Anbieter zunächst heraushalten wolle, so verzichte man bewußt auf „innovative Akzente“, sowie auf „politisch wirklich nicht belastete Elemente“.

Bei Jürgen Doetz (SAT.1), Helmut Thoma (RTL) und Ulrich Schamoni (Radio 100,6) fand Schwarz‘ Initiative natürlich großen Beifall, der sichtlich überraschte DDR-Medienminister Müller (CDU) war jedoch so begeistert nicht. Das Medienüberleitungsgesetz, das in Artikel 36 des Einigungsvertrages formuliert sei, diene nicht als „Startrampe für die Privatfunkrakete“, kommentierte er trocken. Zum Ende seiner Wirkungszeit - spätestens mit den gemeinsamen Wahlen am 2. Dezember wird es ein Medienministerium nicht mehr geben - entwickelt der Thüringer Kirchenmann, dem anfangs keiner so rechte Kompetenz zutraute, noch echtes Profil. Die Privaten werden wohl trotz des „schwarzen“ Freundschaftbeweises wohl noch ein wenig warten müssen, bis sie im Osten auf Sendung gehen können.

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten in der BRD plagen andere Sorgen. Die ARD, auf dem Konrad-Adenauer-Medientreff durch die Intendanten Albert Scharf (BR) und Karl-Heinz Klostermeier (RB) vertreten, will natürlich die künftigen ostdeutschen Landessender in ihre Gemeinschaft mitaufnehmen. Ob ihre Chefs das nun mit Freude tun oder doch mehr notgedrungen, ist dabei abhängig von der eigenen Anstaltsgröße.

Während den Zwergensender Radio Bremen die Sorge um den Finanzausgleich drückt - aus dem gesamtdeutschen Gebührentopf müßten bei einer Neugliederung der ARD auch die finanzschwachen DDR-Länderanstalten hochgepäppelt werden - , hat sich der „reichere“ Bayrische Rundfunk im Hörfunkbereich schon einmal vorsorglich mit Sachsenradio verbrüdert. Der HR wiederum koketiert mit dem zukünftigen Thüringer Landesfernsehen. Eine endgültige Aussage aber, wie die zukünftige ARD zusammengesetzt sein wird, ob zwei oder drei neue Mitglieder aus dem Osten dazukommen oder welche Sender eventuell miteinander verschmelzen, läßt sich erst treffen, wenn sich die Landesanstalten in der DDR gebildet haben.

Da hat es das ZDF als zentrale Anstalt der Länder schon einfacher. Nicht ohne Stolz verriet Intendant Dieter Stolte, daß man bereits neue Korrespondentenplätze in den ostdeutschen Ländern einrichte, als Vorstufe für künftige Landesstudios. Die Ausweitung des Programmauftrags auf Ostdeutschland würde eine Erhöhung des Gebührenanteils bedeuten und gleichzeitig die Reichweiten und damit die Werbeeinnahmen steigern. Nur bräuchte man dazu auch eine terrestrische Frequenz im Osten. Doch in dieser Hinsicht schien Stolte ganz optimistisch.

Und was macht derweil der DFF, der auf der Medientagung einmal mehr als abzuschaffende SED-Altlast gegeißelt wurde? Intendant Michael Albrecht Bemühen, das sinkende Schiff mit undogmatischen Pragmatismus zu neuen Ufern zu rudern, stieß bei den CDU-Medienexperten auf wenig Anerkennung. Der DFF müsse abgeschafft werden, in Adlershof (dem Sitz des DFF) dürfe in Zukunft kein Programm mehr gemacht werden, forderte ihr medienpolitischcer Sprecher Neumann rigoros. Die Mitarbeiter des DFF wissen es längst, daß der Symbolwert ihres Arbeitsplatzes als SED-Propagandamaschine ihnen jetzt den Untergang beschert. Es geht nur noch um einen würdevollen Abgang. 1.200 Mitarbeiter hat Albrecht schon entlassen, weitere werden folgen. Ein Teil zumindest wird in den künftigen Landesstudios unterkommen. Und dort scheinen sie Herrn Neumann, der sich sonst so betont von den Ex-SED -Kadern distanziert, dann auch nicht weiter zu stören. DFF -Intendant Albrecht hofft derweil immer noch, daß sich die DDR-Länder vernunftbedingt auf eine Mehrländeranstalt einigen, deren Zentrale dann eventuell doch in Berlin -Adlershof bleiben könne. In jedem Fall wird der DFF mit seinem riesigen Studio- und Technikkomplex als Produktionsstätte des zukünftigen deutschen Fernsehens wichtig bleiben.

Zurück zum Anfang. Daß bei Diskussionen um die deutsche Medienordnung häufig Medienfreiheit mit parteipolitischer Vorteilnahme verwechselt wird, bewies gegen Ende der Veranstaltung der Redebeitrag von Frau Böwe (im übrigen der einzige aus weiblichen Mund in der jovialen Herrenrunde). Die Pressesprecherin des CDU-Landesverbandes Sachsen-Anhalt monierte verärgert, daß ihr Versuch, „den netten Leuten von Antenne Niedersachsen“ eine Hörfunk-Frequenz in Sachsen -Anhalt zu vermitteln, an den bestehenden Gesetzeshürden gescheitert sei. Und das, wo es doch gerade jetzt im Landeswahlkampf wichtig gewesen wäre, das die Privaten auch senden können - „wegen der Meinungsvielfalt“, an der es bei ihr zu Hause immer noch mangele. Wahltaktisches Kalkül, verkauft als „Informationsfreiheit“.

Die eine Erkenntnis bringen Medienkongresse somit immer, mögen sie auch sonst wenig Klarheit bescheren: Die Brüder und Schwestern aus dem Osten lernen schnell.