DATAISMUS

■ Veranstaltung und Symposien über "Virtuelle Realität"

VON MATHIAS BRÖCKERS

Stellen Sie sich vor, Sie streifen einen Handschuh über, und blicken dann auf ihren Computerschirm: die Hand, die sich da bewegt, ist ihre. Das ist nichts besonderes, sagen Sie? Stimmt. Die Spielzeug-Firma Mattel vertreibt schon einen solchen Daten-Handschuh, der in absehbarer Zeit Maus und Joystick ins Computer-Museum verbannen wird. Das Spielgerät ist die Billigversion des echten „Data Glove“, den der kalifornische Rasta-Mann Jaron Lanier in seiner Firma VPL Research in der Nähe von San Francisco entwickelt hat. Neben einer helmartigen Daten-Kappe mit 3-D-Brille und einem taucheranzugähnlichen Kleidungsstück, dem „Data Suit“, bildet der Handschuh die Grundausstattung für eine neue Art von Tourismus, dessen Botschaft in diesem Herbst nach Europa herüberschwappt: Reisen in virtuellen Realitäten, Fahrten durch elektronische Imaginationen, Trips in den kybernetischen Raum, den Cyberspace, wie er in der Roman -Trilogie Neuromancer von William Gibson genannt wird. Die mittlerweile auch auf deutsch erschienenen Science -Fiction-Romane, angesiedelt „in einer nicht allzu fernen Zukunft“, waren ihrer Zeit gar nicht so sehr voraus wie ihr Autor glaubte. Zwar steckt die derzeit sündhaft teure Technologie noch in den Kinderschuhen, doch der Trend ist klar. „Was wir hier machen,“ meint Jaron Lanier, „hat nichts mit einer neuen Technologie zu tun. Dies ist keine neue Maschine, die irgendetwas macht - dies ist ein ganz neues Medium, eine Welt mit eigenen Möglichkeiten. Wir legen gerade die Grundsteine einer neuen Kultur.“

Architekten werden die Häuser, die sie mit einem Computer Added Design (CAD)-Programm entworfen haben, begehen können, Städteplaner können sich vor dem Bau durch ihre Siedlungen bewegen, Mediziner schwierige Operationen an computeranimierten Körpern üben - die Möglichkeiten des Mediums „Virtuelle Realität“ (VR) liegen auf der Hand. Ebenso wie die Konsequenzen für die Unterhaltungsindustrie in Denver oder Dallas wird man alsbald nicht mehr zuschauen, sondern bei J.R. am Tisch Platz nehmen - und für die letzten legitimierten RealAbenteurer, die Militärs. „Wahrscheinlich ist die auf Eliminierung geeichte Phantasie der Militärs schon lange nicht mehr so angeregt worden wie vom Cyberspace“, vermerkt die Computer-Zeitschrift „MACup“, „da gibt es Projekte, bei denen ein menschlicher Operator gleich vier Panzer steuert, von den Erweiterungen bekannter Flugsimulatoren zu schweigen.“

Auch die NASA ist in der Cybernautic ganz vorne mit dabei: man hofft alsbald auf Roboter, die von Cybernauten auf der Erde gesteuert schwierige Reparaturen im Weltraum ausführen können. Entsprechend skeptisch, was die Kultur betrifft, ist der „Erfinder“ des Cyberspace, William Gibson, mittlerweile: „Außer für Querschnittsgelähmte sehe ich nicht, wie virtuelle Realität jemandem nützen soll. Es wird den Regenwald nicht retten; hier wäre die kalte Kernfusion wichtiger. Künstliche Realität wird höchstens ein Spielzeug für die reichen Länder werden, und für das Militär. Am unteren Ende wird es gerade mal als besseres Nintendo-Spiel enden.“ Damit ist der Jetzt-Zustand des Cyberspace sicher treffend umschrieben, die künstlichen Realitäten wirken im besten Falle wie ein Zeichentrickfilm, von Simulation kann noch keine Rede sein, zumal von den fünf Sinnen bisher nur Augen und Ohren angesprochen werden. Allerdings arbeitet man bereits erfolgreich an der Übertragung taktiler Empfindungen und mit jeder Steigerung der Rechengeschwindigkeit werden die Simulationen immer weniger von der Wirklichkeit unterscheidbar - bis die virtuellen Realitäten „echt“ werden ist es nur noch eine Frage der Zeit.

Einblicke in die Entwicklung und Möglichkeiten digitaler Welten bieten in den kommenden Wochen drei Veranstaltungen. „Digitale Welten - Virtuelle Träume“ lautet in diesem Jahr das Thema der „Ars Electronica“ in Linz, in deren Rahmen vom 9. bis 12. September ein internationales Symposion stattfinden wird: „Von den Maschinen des Geistes und vom Geist der Maschinen“. Der Cyberspace Pionier Jaron Lanier und zahlreiche Kollegen, Computer- und Gehirnforscher, Künstler und Philosophen, die Cyberpunk Autoren William Gibson und Bruce Sterling, der ehemalige LSD-Professor und Computerastronaut Timothy Leary u.v.a. Werden an vier Tagen mit Vorträgen, Videos, Installationen und Simulationen ihre Forschungsergebnisse präsentieren und Möglichkeiten sowie Grenzen und Gefahren zur Diskussion stellen.

Auch in Berlin feiert der Dataismus fröhliche Urständ: am 15. September mit einer Cyberspace-Party in der „Neuen Welt“ und am 16. im Audimax der Humboldt-Universität. Dort werden Timothy Leary über Cybernautik und Prof. Mel Seesholtz über „Interaktive Software“ refererieren. Brian Hughes, Mitentwickler von „Virtual Realitity“ bei der Firma „Sense 8“ wird Prototypen der Data-Brille und des Data-Handschuhs demonstrieren. Dieser Vortragsabend unter dem Titel „Discover Cyberspace“ ist einen Tag zuvor auch in Hamburg (Klex-Theater) zu sehen. VERANSTALTUNGEN UND SYMPOSIEN ÜBER „VIRTUELLE REALITÄT“