Die Linke ist auch nur Produkt ihres Systems

■ Die Nahost-Krisen der Nachkriegszeit zeigen den schwankenden Boden ideologischer „Festigkeit“ / Die Gefahr eines neuen Teufel-Tauschens in Nahost / Keine Unterstützung für Oppositionelle im Irak

Aus Rom Schamil Najim

Wo immer Europas Linke derzeit in ihren Archiven forschen, um frühere Interventionen gegen die Aufrüstung Saddam Husseins ausfindig zu machen, gähnt ihnen weitgehend Leere entgegen. Einigkeit unter den diversen Kommentatoren herrscht gerade noch darüber, daß sie auf keinen Fall Krieg wollen. Aber Versuche, wie etwa jener der italienischen Kommunisten (und Grünen) auf Proteste wegen illegaler Waffenlieferungen hinzuweisen, endeten als Rohrkrepierer. Zwar haben sie im Vorjahr mächtig gegen die illegalen Waffenlieferungen aus halb Europa gewettert, doch - wie sich erweist - waren die Untergrundgeschäfte zwar beträchtlich, aber die legalen waren ein Vielfaches davon und keiner hat dazu früher Anfragen gestellt. Analog schwach die Lage deutscher Sozialdemokraten, denen die Hochrüstung des Irak erst jetzt so recht auffällt. Wie die Linke insgesamt, hat sie bei Saddams Einfall in den Iran und seinen Mordaktionen gegen Kurden und religiöse Minderheiten wie die Kaldäer gar nicht oder nur mäßig protestiert. Sicher, der Mann war ihnen nicht sympathisch, Krieg ist ihnen natürlich auch zuwider, doch Iraks Armee marschierte ja hauptsächlich und zur westlichen Erleichterung gegen ein noch größeres Pfui -Teufelchen, den „bösen Alten“, wie die West-Presse unisono den Imam Chomeini titulierte, weil er seine Gegner martern und an Kräne hängen ließ und den Frauen Schleier statt Emanzipation verordnete.

Die Spaltung, Unschlüssigkeit, ja Paralyse der Linken bei internationalen Großbewegungen und Gewalttaten ist freilich nicht neu. Sie ist so sehr Tradition, daß daraus längst wieder neue Paralysen entstehen.

So fand die Linke im Westen weder während der Ungarn- noch während der Suezkrise, weder während des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Armeen in die CSSR noch bei der Invasion in Afghanistan eine einigermaßen widerspruchsfreie Haltung (selbst während der US-Aktionen gegen Nicaragua war sie, zumindest was Gegenmaßnahmen betraf, gespalten).

In einigen Fällen - nach Ungarn und der CSSR - verließen immerhin einige Kommunistische Parteien die von Moskau dominierten internationalen Organisationen oder Konferenzen. Doch die parteiinterne Diskussion in diesen Ländern brachte alsbald tiefe Risse und danach einen regelrechten Schlingerkurs ans Licht. Bestes Beispiel: die italienische KP. Sie plädierte immer für eine zuerst beschränkte, später volle Autonomie aller Staaten, doch sie verteidigte, zumindest in Maßen, auch den sowjetischen Interventionismus gegenüber den Pufferstaaten - ein Verhalten, das sie umgekehrt den USA auf keinen Fall zubilligen wollte.

Zu dieser Unschlüssigkeit kommen weitere „Erblasten“ der linken, die speziell den Nahen Osten betreffen. Anwalt der Unterdrückten, hatten die Linken viel für die Leiden der Juden übrig, und so fielen in den 50er Jahren Verurteilungen israelischer Aggressionsakte meist entweder recht harmlos aus oder, wenn sie laut und böse waren, dann wieder so überzogen, daß jeder wußte, es werden oder können keine Taten folgen. Mit wachsendem zeitlichen Abstand vom Holocaust wandelte sich das Bild bei einem Teil der Linken. Speziell seit die Bindung Israels an die USA so eng wurde, daß man bequem den (nicht des Rassismus‘ verdächtigten) Anti -Amerikanismus mit dem Anti-Israelismus vermengen konnte.

Diese Einstellung blockiert nun wieder die aktuellen Denkprozesse gegenüber Hussein. Da gibt es die Araber -Freunde, speziell solche, die Kuwait als ebenfalls antidemokratisches, im Gegensatz zum Irak aber auch noch rückständig-feudalistisches Regime ansehen und insofern seine Liquidation eher begrüßen: Sie sehen sich an ihre schweren Worte gegen Israel im Namen des Völkerrechts erinnert. Auf der anderen Seite stehen jene Linken, die seinerzeit Israel als besonders leidgeprüftes Volk bei seinen Aggressionen allzu weich angefaßt haben, und nicht wissen, wie sie nun die Entschiedenheit gegenüber dem Irak vertreten sollen.

Dies alles macht jenen Prozeß so schwierig, der immer unabdingbarer und lebenswichtig für den Irak wie für den gesamten nahen Osten wird: Den Aufbau einer wirklichen Alternative zu den diversen Diktaturen der Region. Keine einzige Oppositionsbewegung kann heute auf einen verläßlichen Partner im Westen zählen, weder unter den Staaten noch in den politischen Gruppierungen. So könnte auch nach einem Sturz Husseins nur eine neue „Kreatur“ antreten, ohne daß es auch nur zum mindesten Wandel im Regime als solchem kommt.

Najim hat in Berlin und Rom Geschichte studiert und war als Sozialarbeiter für irakische Dissidenten und kurdische Flüchtlinge tätig.