Der Tod eines Aufrechten

■ Turan Dursun, ein kämpfender Aufklärer, wurde in Istanbul von islamischen Fundamentalisten ermordet / Er war mit dem Koran aufgewachsen, berühmter Islamwissenschaftler und Kritiker des religiösen Obskurantismus

PORTRÄT

Sieben Kugeln durchlöcherten seinen Körper. Nur 30 Meter von seiner Wohnung entfernt sackte der Schriftsteller und Journalist Turan Dursun tot zusammen. Die Mörder entkamen unerkannt. Ein politischer Mord bei Tageslicht und auf offener Straße mitten in der Metropole Istanbul nichtsdestotrotz benötigte die Polizei eine Stunde, um eine Streife zum Tatort zu schicken. Ein politischer Mord, dessen Aufklärung kein Bekennerschreiben benötigt.

Radio Teheran meldete wie eine militärische Siegesmeldung den Tod des 56jährigen Autors. Salman Rushdie ist noch am Leben, doch der türkische Rushdie ist tot. Der Tod eines „Nestbeschmutzers“: „In seinen Schriften beging er Verrat an der heiligen islamischen Religion und schmähte den Propheten Mohammed.“ In einer Woche wurde Dursun zu Vorträgen in Bern, Stuttgart und Frankfurt erwartet. Er sollte dort über „Islam und Laizismus in der Türkei“ referieren. Die Mörder kamen ihm zuvor. Dursun war einer der prominentesten Islam -Kritiker in der Türkei, Kolumnist des von der türkischen Regierung verbotenen Nachrichtenmagazins '2000e Dogru‘ (Gegen das Jahr 2000) und der Nachfolgezeitschrift 'Yüzyil‘ (Jahrhundert).

Er hat Hunderte theoretisch-wissenschaftliche Aufsätze zum Islam publiziert. Sein Hautaugenmerk richtete er dabei auf den Koran. Ohne opportunistische Zugeständnisse an den zunehmend islamisierten Zeitgeist in der Türkei zu machen, arbeitete er die Widersprüche der heiligen Schrift heraus. „Ein Werk, daß die Barbarei der Scharia, die Menschen Menschen überstülpen wollen, nachweist. Ein Todesstoß gegen Tabus und religiösen Vandalismus“, urteilte ein Rezensent über sein Buch Kulleteyn. Ursprünglich sollte in der Eurotaz vergangener Woche ein Kommentar von Turan Dursun stehen. Dursun verzichtete zu Gunsten seines politischen Freundes Dogu Perincek, der im Gefängnis Diyarbakir einsitzt.

Dursun beherrschte die Koran-Exegese wie kein anderer in der Türkei. Gerade deshalb erklärten die Fundamentalisten den Mann, der mit dem Koran aufgewachsen war, zum Hauptfeind. 14 Jahre lang arbeitete Dursun in Diensten des staatlichen „Amtes für religöse Angelegenheiten“, im Rang eines Mufti, dem die Imams, die Vorbeter in der Moschee, unterstanden.

Der aufgeklärte Mufti ging mit seinen imams ins Kino, setzte sich in seinem Bezirk für den Bau von Krankenhäusern und Schulen, statt nichtgenutzter Moscheen ein. Das Amt beschuldigte ihn des „Kommunismus“, er wurde aus dem Dienst gedrängt.

Dursuns Biographie war ganz und gar untypisch für türkische Intellektuelle. Dursun wuchs in einer gläubigen Familie im mittelanatolischen Sivas auf. Die Muttersprache war kurdisch und bereits in der Kindheit mußte er den Koran auswendig lernen. Türkisch lernte er erst, als er seinen Militärdienst absolvierte. Später kam er mit dem aufklärerischen Gedankengut des Marxismus in Berührung. Aus dem des Türkischen unkundigen Dorfjungen in Sivas erwuchs im späten Alter ein Intellektueller, der es sich zur Pflicht machte, die säkulare Gesellschaft gegen den Islam zu verteidigen.

Während er als Kolumnist arbeitete kamen stapelweise Droh und Schmähbriefe in der Redaktion an. „Du Giaur (Ungläubiger, d.Red.), du Hurensohn“, schrieb ein Geschäftsmann, der mit einem Killerkommando drohte. Dursun berührten solche Briefe kaum, er antworte mit einer Kolumne in '2000e Dogru‘: „Wir versuchen die Welt zu verändern. Natürlich werden Drohbriefe kommen. Doch sie werden den Gang der Zeit nicht aufhalten können. Die im Gestrüpp der Dunkelheit verborgenen Lügen werden aufgedeckt werden. Für eine schöne Welt, eine helle Welt, eine Welt, in der Freiheit und Vernunft regieren sind die Anstrengungen so notwendig wie Wasser und Luft.“

Ömer Erzeren