„Den Exschritt wieder und mehr Kohle!“

■ Das Wachregiment „Friedrich Engels“ verläßt die alte Kaserne gegenüber der Museumsinsel und zieht nach Treptow / Der Stechschritt bei der Wachablösung ist seit Anfang August abgeschafft / Ab 3. Oktober kommandiert die Bundeswehr

Mitte. Die Kaserne ist leergeräumt. Krachend werden die letzten Schränke auf LKWs verladen. Auf dem Appellplatz stapeln sich alte Heizungsrohre und Militärmüll wie leere Munitionskisten und hölzerne Karabinerschäfte. Das Wachregiment „Friedrich Engels“ zieht aus seinem düsteren Bau gegenüber der Ostberliner Museumsinsel zum neuen Standort in Treptow um. Es kann auch ein Transfer ins endgültige Aus sein, denn keiner weiß bislang, ob das Eliteregiment nach dem 3. Oktober weiterhin am Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarimus Unter den Linden Wache schieben wird.

Bis jetzt stehen die Posten vor Schinkels Neuer Wache immer noch stramm mit geradeaus fixierten Blicken. Auch die Preußenshow „Großer Wachaufzug“ wird nach wie vor mittwochs mit großen Tschingderassa abgehalten. Konzessionen an die neue Zeit sind freilich schon gemacht; so schaffte Abrüstungsminister Eppelmann Anfang August den Stechschritt ab. Bei der Ablösung heben die Wachen nur noch beim ersten Schritt die Hacken 30 Zentimeter über den Boden, der Rest des Weges wird im profanen Gleichschritt erledigt. Wachaufzugsexperten bemerken jetzt Taktunsicherheiten: „Schlimm, diese Schrittfehler“, moniert ein altgedienter NVA -Offizier beim Anmarsch. „Das ist ja ein völliges Durcheinander ...“

Nicht nur wegen des weggefallenen Exerzierschrittes herrscht beim Regiment Unsicherheit. Vom magischen Datum 3. Oktober wissen die Soldaten im Wachlokal im nahegelegenen Zeughaus auch nur, daß dann die neuen Bundeswehruniformen mit Barett und neuen Stiefeln da sind. Bis jedoch über Weiterdienen im künftigen Territorialkommando Ost oder eine Entlassung entschieden ist, soll es ein Wartegeld von 70 Prozent des bisherigen Soldes geben. Bei dem normalen 300 -Mark-Wehrpflichtigensold wären das 210 Mark. Da man am 3. Oktober die Karabiner nicht einfach aus der Hand fallen lassen will, muß dieses Wartegeld wohl erst mal reichen. „Ich fühle micht nicht betrogen, aber ich ärgere mich über diese Umgewißheit“, sagt Leutnant Stefan Marchal, der seit sechs Jahren beim Wachregiment ist. Die Wehrpflichtigen im holzgetäfelten Wachlokal beschäftigt in erster Linie die Geldfrage. Schon vor zwei Wochen haben sie für eine Wehrsolderhöhung von 90 Mark einen Warnstreik abgehalten. Die Abschaffung des Exschrittes, wie der Stechschritt regimentsintern heißt, stößt bei ihnen auf Kritik; schließlich wolle auch das Publikum, darunter viele Ausländer, die alte Form. „Den Exschritt wieder und mehr Kohle“, lauten knapp die Forderungen im Wachlokal.

Ebenso ungewiß wie die Zukunft der Friedrich-Engels -Soldaten ist das weitere Schicksal des Mahnmals für die Opfer des Faschismus und Militarimus. Die am 1. Mai 1962 eingeweihte Gedenkstätte gehört nicht zu den leichtverdaulichen DDR-Hinterlassenschaften. So liegen dort vor einer „Ewigen Flamme“ ein unbekannter Soldat und ein KZ -Häftling nebeneinander begraben. Die Wachsoldaten müssen für das kalte Pathos des Momuments öfters spontanen Touristenzorn hinnehmen. Auch stehen sie bei einigen Besuchern im Verdacht, Angehörige des legendär-berüchtigten Stasi-Wachregiments „Feliks Dzierzynski“ zu sein, dessen Uniformärmelstreifen und Abzeichen am Potsdamer Platz hoch gehandelt werden. Trotz Paradedreß und Sonderaufgaben wie Botschafterakkreditierungen war das Wachregiment nicht mit der Stasi liiert. „Als normale Soldaten galten wir für die als Menschen zweiter Klasse“, erinnerte sich ein Major schon vor zwei Monaten anläßlich der Neuvereidigung seiner Soldaten.

Die Kaserne hinter den S-Bahn-Gleisen ist leer. Das Gebäude hat fast 220 Jahre Hackenschlagen und Kommandobrüllen hinter sich. Konzipiert für die preußische Artillerie, logierte hier ab 1918 die Polizei; während der Nazizeit war es dann die Gestapo. Nach dem Krieg waren Sowjettruppen untergebracht, bis sie 1950 DDR-Grenztruppen Platz machten. Vor 20 Jahren schließlich zog das Wachregiment ein. Bald werden hier zivile Professoren das Sagen haben, denn die Kaserne wurde der nahegelegenen Humboldt-Universität überlassen. Vom ehemaligen Nutzer ist nur noch der Namenspatron übriggeblieben: Friedrich Engels als Wandbild im Theatersaal und Friedrich Engels als Bronzebüste auf dem Appellplatz. Letzere mußte auf Befehl von oben noch im vergangenen Jahr für 28.000 Mark angeschafft werden. Das Regiment war pleite, und es fehlte an Toilettenpapier.

Christian Böhmer