„Es ist mir nie zu laut“

■ Ein Gespräch mit Marie Goyette

INTERVIEW

Die kanadische Pianistin Marie Goyette ist vom Geräusch, das Pflasterleger machen, wenn sie die Gehwege pflastern, fasziniert und macht daraus „Recyclingmusik“.

taz: Was ist „Recyclingmusik“?

Marie Goyette: Ich habe aus einem Meter Tonbandmaterial der Pflasterleger ein zwanzig Minuten langes Musikstück gemacht. Ich nehme die Musik auf und bringe sie dann aber wieder an den Ort zurück. Ich mache ein Konzert mit sechs Pflasterlegern und Klavier, und das Ganze geschieht auf der Straße, also da, wo das Geräusch herkommt.

Wie bist du auf das Geräusch, das Pflasterleger machen, aufmerksam geworden?

Ich habe das vorher nicht gekannt. Auch in London, wo ich zwei Jahre gelebt habe, habe ich das nicht gehört.

Ist das Geräusch typisch für Berlin, und hat jede Stadt ihre typischen Geräusche?

Ja, auf jeden Fall. Auch Flaschencontainer sind typisch. An meinem ersten Morgen in Berlin bin ich aufgewacht, weil jemand Flaschen in einen hineinwarf. Ich wußte nicht, was das war, ich wohnte im vierten Stock, und da ist ja alles viel lauter.

Ist Plasterlegermusik Musik für alle?

Es ist auf jeden Fall anders als die Plüschatmosphäre in traditionellen Konzertsälen, denn ich mache aus Arbeitern Musiker. Ich mache auf einen anderen Aspekt ihrer Arbeit aufmerksam, damit aber auch auf das, was sie tun.

Wie nimmst du Geräusche wahr?

Sie sind mir nie zu laut. Auch Betonmischer sind mir nicht zu laut.

Du spielst Klavier, während sechs Pflasterleger arbeiten. Dominiert das Klavier die Geräuschstruktur der Pflasterleger, oder geben die Pflasterleger dir den Rhythmus?

Es gibt keine Absprachen. Es gibt maximal sieben Strukturen, die zusammenkommen. Am Anfang und Ende wird es ruhig sein, in der Mitte intensiver.

Wie gelingt es dir, Konventionen in der Musik zu übertreten?

Man muß gelangweilt sein, und man braucht Phantasie. Ich spiele ja auch weiterhin klassische Musik. Es ist für mich Meditation. Auch Moderne Musik.

Also ist auch atonale und arhythmische Musik meditativ?

Wenn man die Sprache der Musik nicht versteht, muß man sich andere Möglichkeiten suchen, die Musik zu verstehen, und eine davon ist Meditation.

Interview: Waltraud Schwab