Abend mit Preisträgern

■ Die 13. Verleihung des Egon-Erwin-Kisch-Preises

Egon Erwin Kisch wurde am 29.4. 1885 in Prag geboren und starb am 31.3. 1948 ebenda. Weiter heißt es im Taschenlexikon in Farbe: daß er abenteuerliche Reisen durch die Welt unternahm, 1933 aus Deutschland emigrierte, da er ein Kommunist war, und 1937/38 im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte. Egon Erwin Kisch erhob die Reportage zum literarischen Rang, so steht es im Lexikon. Bei solchen Formulierungen sieht man immer die Literatur in der Loge sitzen, den Journalisten im Parkett und dazwischen Egon Erwin Kisch, wie er mit seiner Schreibmaschine gabelstablerartig die Reportage hochhievt.

Henri Nannen hingegen war ein Meister der Illustrierten. Der 'Stern‘ war sein Produkt, gerne bezeichnet er sich als die Lokomotive, die den ganzen Redaktionszug auf den Affenfelsen hinaufgezogen hat. Er ist auch ein Mann der schönen Künste: Seiner friesischen Heimatstadt schenkte er ein Museum der modernen Malerei und dem deutschen Journalismus den Egon-Erwin-Kisch-Preis.

Der wurde vorgestern abend in Berlin, im Cafe Einstein, vergeben. „Wir haben uns Berlin als Ort der diesjährigen Preisverleihung ausgesucht“, sagte der Mann im vornehmen, braungestreiften Sakko, der an der Pforte zum Empfang stand und allen Gästen zur Begrüßung die Hand schüttelte, „weil Berlin für uns derzeit die spannendste Stadt in Deutschland ist.“ Das hört man gerne in Berlin, und die Anwesenden nickten mit den Köpfen. Am Eingang zum Cafe Einstein bekam man zur Begrüßung nicht nur die Hand geschüttelt, sondern auch einen dezenten kleinen und silbernen Sticker in der Form des 'Stern'-Logos, der sich sehr gut machte an den Brusttaschen der Anzugsjacken. Und ein Glas Champagner hinterher, das vom zurückhaltend-freundlichen Kellner diskret wieder aufgefüllt wurde, wenn der Inhalt zur Neige ging.

Bevor der feierliche Akt begann, standen die sicherlich wichtigsten Vertreter des bundesdeutschen Journalismus in kleinen Gruppen zusammen, man war unter sich, und einer kannte den anderen. Es war sehr ruhig, vornehm-hanseatisch, nicht von der sonst grell aufgeputzten Berliner Art. Gekleidet war man leger-locker - trotzdem bewahrte man Stil. Die Gespräche drehten sich um die kleinen Sorgen des Lebens, etwa den fehlenden Telefonanschluß „unseres Mannes in Ost -Berlin“. Aber sonst läßt es sich ganz gut leben im Palast -Hotel.

Die eigentliche Verleihung begann dann mit einer kurzen, von einem jungen Mann mit schwarz gescheitelten Haar unaufdringlich vorgetragenen Laudatio auf die diesjährigen Preisträger. Die Trägerin des 1. Preises, die 'Stern' -Redakteurin Birgit Lahann, wurde für ihren Bonn-Artikel Spiel mir das Lied von Bonn gelobt, weil sie den Kischschen Merksatz - „schreibe so, daß der Leser glaubt, er sei dabeigewesen“ - in die Tat umsetzte. Der freie Journalist Christoph Scheuring für die Reportage Die sich selbst ein Rätsel sind wegen der Intensität, mit der er das Leben eines psychisch Kranken beschrieb, eine „Intensität, die uns bewußt macht, wie brüchig das Eis ist, auf denen die sogenannten Normalen wandeln“. Und schließlich Dr. Peter Sager vom 'Zeit-Magazin‘ für Tanja Ballerina, einem eindringlichen Report über eine Leningrader Balettschule.

Nach der Laudatio übergab der Altchefredakteur vom 'Stern‘, Henri Nannen, in der beeindruckenden Haltung des großen alten Mannes des deutschen Journalismus die Preise: jeweils eine feingedruckte Urkunde und einen Scheck; für den 1. Preis gab es 25.000, für den 2. 15.000 und für den 3. 10.000 Deutsche Mark.

Nach der Preisverleihung sprach Professor Peter Wapnewski, sonst im Mittelalter zu Hause, über Der Reporter . Mit gemischten Sprachgefühlen. Kein Zweifel: Dort sprach ein Mann des Worts und der Bildung, geübt in der Vermittlung auch schwierigster Sachverhalte, die er dem Publikum in einer Mischung aus Show und echtem Anliegen weitergab. Sein Thema war die für ihn verachtenswerte Taktik der Indiskretion, eine Taktik, die er für das Übel gerade der elektronischen Medien hält. Denn, so war sein Leitfaden, es darf nicht das Privateste hinauskommen, es muß eine Schranke der Scham bestehen bleiben, weil ohne diese Schranke das Individuum schutzlos den Massen dargeboten würde. Es sei, so sagte er weiter, scheinbar eine Tendenz dieser Zeit und dieser Medien, das sie diese schützende Hülle der Scham zerstörten und damit ein Verbrechen an der historischen Konstante des privaten Kerns verübten, ohne die doch eine Zivilisation nicht möglich sei. Kurz, sein Vortrag war ein Gemahnen an die Rettung des bürgerlichen Subjekts in einer Zeit, in der die bürgerliche Ökonomie und deren Medien eben dieses Subjekt am Zerstören sind, vorgetragen in der Haltung feiner, an Thomas Mann geschulter Ironie.

Nach dem Vortrag stand das kalte Buffet auf dem Programm, erlesene kleine Happen. Man tat sich immer wenige Stückchen auf den Porzellanteller, denn Nachholen konnte man sich genug. An meinem Tisch sprach man darüber, wie es nun weitergehen würde, und ein Kenner der Kisch-Preis -Verleihungen erzählte aus dem Nähkästchen vergangener Zeiten und wußte schon um den weiteren Verlauf. Jetzt würde eigentlich nichts mehr passieren, sagte er, nur noch ein wenig herumsitzen, über den uns allen gemeinsamen Beruf plaudern, hier und da etwas Neues von nicht anwesenden Kollegen, im ganzen also sei nur noch knarztrockenes Herumsitzen zu erwarten, gemildert vom wirklich vorzüglichen Champagner. Fazit: Es war Zeit zu gehen.

Volker Heise